Der gefrorene Rabbi
spürte ich, dass mich das abhärtete und stärker machte. Manchmal ritt ich auf Eisblöcken wie auf einem Schlitten durch Aluminiumrinnen direkt in einen isolierten Lieferwagen, und später wechselte ich mit dem Fahrer zotige Bemerkungen, während wir durch die Straßen gondelten. Es machte mir Spaß, mir mit der Eisenzange einen Eisblock auf die Schulter zu packen und die tropfende Last mit sicherem Tritt eine steile Treppe hinaufzutragen. In knoblauchdurchwehten Küchen zog ich den Pickel aus der Scheide, um den Eisblock mit spritzenden Scherben zu zerteilen, während die Tochter des Hauses meine strammen Armmuskeln bewunderte. Ein-oder zweimal malte ich mir sogar aus, das Ice Castle von Papa zu übernehmen und es zu einem wahren Eisimperium auszubauen. Aber als die Botschafter von Naf dem Scherzer in das Anwesen schlenderten und erklärten, dass Karp ihnen ein kleines Vermögen an ausstehenden Raten schuldete, war ich nicht nur empört über ihre Forderungen, sondern auch beeindruckt von ihrer Dreistigkeit.
Schulz, Papas pferdegesichtiger Werkleiter, schob die Hände in die Overalltaschen und erklärte, die Sache mit dem Besitzer besprechen zu müssen. Die Gorillas sollten später wiederkommen. Dem Grinsen, das sie austauschten, entnahm ich, dass sie so was nicht zum ersten Mal gehört hatten.
»Klar, klar, lasst euch nur Zeit«, antwortete der Wortführer der beiden, dem das neue Jackett vor Schweiß am breiten Rücken klebte. »So lang, wie ihr wollt. Aber morgen kommen wir zum Kassieren.«
Das alles verfolgte ich unter einem Aal, den ich gerade an einen Fleischhaken hievte. Ich war so hingerissen von ihrer Unverfrorenheit, dass ich sofort meine Schürze aufhängte und ihnen hinaus in den schwülen Nachmittag folgte. Anscheinend hatten sie es nicht eilig. Gemütlich schlendernd fächelten sie sich mit ihren Kreissägen Luft zu und blieben hier bei einem Süßwarenstand, dort bei einem Zeitungskiosk stehen, um dem Händler zu drohen. An der Ecke Forsyth und Grand Street stiegen sie eine staubige Treppe hinauf und betraten ein Büro im ersten Stock, auf dessen Mosaikglastür Acme Insurance Group stand. Ich zögerte nur kurz, um meiner Mütze eine forsche Neigung zu verpassen, dann öffnete ich die Tür zu einem Vorzimmer, das leer war bis auf einen Schreibtisch, ein Telefon und eine junge Frau, die sich mit einer Theaterladung Schminke bemalte. Unter dem Schreibtisch schimmerten ihre überkreuzten Beine in heruntergerollten Strümpfen hervor. Aus dem Zimmer hinter der inneren Bürotür hörte ich ein Radio mit dem Schlager »Ukulele Lady«.
Es dauerte ein paar Augenblicke, ehe die Frau sich dazu herabließ, meine Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen. Als es endlich so weit war, musterte sie mich von oben bis unten und wirkte nicht unerfreut, ehe sie in einem unendlich gelangweilten Ton fragte: »Was willst du?« Mit einer Geste, als würde sie die Zähne aufeinanderschlagen, schloss sie die Puderdose.
Ich erinnerte mich an das Schild an der Tür. »Ich will eine Lebensversicherung abschließen.«
Der Federbusch in ihrem schwefelgelben Haar flatterte unter dem Deckenventilator. »Wir handeln nur mit Immobilienversicherungen«, verkündete sie mit der lustlosen Miene einer echten Empfangsdame.
»Dann will ich eine Lebensversicherung für meine Immobilie.«
Sie lächelte verkniffen, anscheinend war sie Sprücheklopfer gewöhnt. Dann hörte sie auf mit dem Theater. »Du siehst aus wie ein netter Junge. Verschwinde lieber, bevor noch was passiert.«
Ich nahm die Mütze ab und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Ich musste es anders probieren. »Ist Mr., ähm …« Mr. Scherzer kam mir irgendwie falsch vor. »Ist Mr. Kupferman da?«
»Wer will das wissen?«
Ich überlegte. »Ruby Kid Karp.«
Ihre kajalumringten Augen sagten, dass ich mir keine Witze erlauben sollte. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür zum benachbarten Büro einen Spalt, das Radio plärrte, und eine der beiden Figuren, denen ich von der Eisfabrik aus gefolgt war, schob ihren Adlerzinken ins Vorzimmer. Der Wortführer. Die Kopfhöhe ließ darauf schließen, dass er saß, die Stuhllehne wahrscheinlich an die Wand gelehnt, während er den Hals verdrehte, um hereinzuspähen. »Hey, Birdie«, sagte er mit einer Stimme wie Schmirgelpapier, »wie wär’s mit a schtikl von deinem süßen pirog?« Da bemerkte er mich. »Wer ist das?«
Sie hob die gezupften Brauen und seufzte. »Das ist Kid Karp. Kid, darf ich vorstellen: Shtrudel Louie
Weitere Kostenlose Bücher