Der gefrorene Rabbi
Gegenterror vor dem nächsten sogenannten Araberaufstand eingekehrt war, hielt Ruby unbeirrt an seiner Rolle innerhalb einer allgemeinen Anstrengung fest, das Gelobte Land in ein riesiges Schlachthaus zu verwandeln. Natürlich gab es immer wieder Unterbrechungen, in denen Ruby andere mit seiner nervösen Ungeduld auf Abstand hielt. So zog der Einwanderer mit seinen Onkeln von einem geheimen Unterschlupf oder Kleinbauernhof zum nächsten und verdiente sich dabei nicht nur den Respekt seiner Mitkämpfer, sondern auch den Ruf eines abweisenden Einzelgängers. Ba’al schaticha nannten ihn seine Kameraden (aber nie in seiner Gegenwart), den Meister des Schweigens: »Auch Schweigen ist manchmal ein midrasch.«
Mit der Zeit schnappte er genug von der Sprache auf, um Befehle zu befolgen und Unterhaltungen zu verstehen, aber nie so viel, dass er eine genaue Antwort auf eine Frage hätte geben können. Er stellte sich vor, dass ihm das laschon ha-kodesch, die heilige Sprache, auch in säkularisierter Form die Zunge versengen würde. Da er nicht einmal einzelne Brocken Hebräisch von sich gab, hielt ihn so mancher Fremde für stumm. All dies trug zusammen mit seiner mönchhaften Unnahbarkeit zu seinem legendären Status als radikaler Außenseiter bei. Die Abergläubischen (von denen es in den Reihen der Siedler aus der bäuerlichen Kultur Osteuropas viele gab) sahen keinen Menschen in ihm, sondern ein aus Lehm geformtes Wesen, das alle Kränkungen gegen Israel rächen sollte; dies weckte in seinen Onkeln die Sorge, dass sie vielleicht einen Golem geschaffen hatten. Aber wer wollte angesichts seiner schieren Durchschlagskraft Einwände erheben? In den folgenden Jahren, als die Taktik von Terror und Vergeltung zur Routine wurde, wuchs Rubys Ruhm, und seine ohnehin verschwommene Identität verschwand hinter den zahlreichen Masken, die er bei seinen Operationen aufsetzte. Schließlich war er für die Juden eine sagenumwobene Gestalt und für sich selbst gar nicht mehr greifbar: Der Meister des Schweigens war zu einer Symbolfigur geworden, die in geheimen Kreisen als Ruben ben Niemand bezeichnet wurde, und seine Herzlosigkeit wurde von einem Volk, das bemüht war, Jahrtausende von Leid und Schuld abzuwerfen, allgemein gepriesen.
Rubens unverrückbares Schweigen musste natürlich auffallen an einem Ort, wo das Reden eine Manie war. Je nach der Perspektive des Betrachters wurde es manchmal als Zustimmung, manchmal als Ablehnung gedeutet. Aber in Wahrheit war er weder dafür noch dagegen, sondern einfach nur gleichgültig, so wie ihm auch das Leben in der kvuzah gleichgültig war - die in ihrem Arbeitsethos Dutzenden von anderen im gesamten jischuw glich. Aber da auch die Wächter nicht von den Tätigkeiten des Kollektivs ausgenommen waren, eignete sich Ruby eine oberflächliche Übung in den ihm zugewiesenen Aufgaben an. Obwohl er sich letztlich für den einsamen Beruf des Schafhirten entschied, melkte er auch Ziegen, hob Gräben aus, leerte Klärgruben und errichtete Einfriedungen; er besserte Dachbalken und -latten aus und bewies sogar einiges Geschick beim Reparieren des launischen Dreiphasendynamos der Kommune, der paradoxerweise den Namen n’er tamid trug, ewiges Licht. Seine Onkel lobten zwar seinen Eifer, verglichen die einfache Arbeit der aktuellen Siedlungen jedoch mit den herkulischen Mühen, die die primitiven Anfänge in der Ära der zweiten alija erfordert hatten. Ruby war während der vierten Einwanderungswelle angekommen, ein geschichtliches Faktum, das ihm völlig egal war. Genauso wenig wie die Arbeiten, die er dennoch mit Sorgfalt erledigte, vermochten Ruby die Feste zu begeistern, die die einzigen Atempausen in einem strengen Kalender darstellten. Der Sabbat, an dem sich die Siedler einen Fingerhut süßen Carmelwein gönnten, war für ihn genauso unwichtig wie Purim, wenn sie sich Kostüme anzogen und ein Bild von Haman auspeitschten. Sie sangen patriotische Lieder (»Jesch li Kineret« und »Gott wird Galiäa wiederaufbauen«) und tanzten in wogenden Kreisen die Hora. Selbst Jecheskel und Jigdal, die trotz ihrer Körpermasse immer noch sehr beweglich waren, machten mit, und manchmal traten Mädchen mit kräftigen Schenkeln - die von den Muselmanen als Huren beschimpft wurden, weil sie kurze Hosen trugen - auf Ruby zu, der an einen Eukalyptusbaum gelehnt dasaß. Diese Mädchen waren dazu erzogen worden, das Schicksal herauszufordern, aber wenn sie versuchten, ihn in den Reigen zu ziehen, beäugte Ruby sie nur
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