Der gefrorene Rabbi
leidenschaftslos und scheuchte sie weg. Er sehnte sich bloß nach seinem nächsten Einsatz.
Lang musste er nie warten. Schon bald kam der Marschbefehl von den Helden des Widerstands, die alle im Ruf standen, halb verrückt zu sein: der philosemtische britische Oberst Orde Wingate etwa, eine Art Lawrence von Palästina, der mit seinen Nachtspezialeinheiten gern die Schlachtstrategien König Sauls nachahmte. Später folgten legendäre Anführer der Untergrundbewegung wie Gideon, Raziel und der gefürchtete Yair, Gestalten, die der jischuw zugleich verachtete für ihre Brutalität und vergötterte für ihren Mut. Wie seine Onkel, die sich das Recht vorbehielten, sich jeder Bewegung anzuschließen, die ihnen gefiel, schwor Ruby keiner bestimmten Gruppe die Treue. Aber er ließ sich nur selten eine Gelegenheit entgehen, an einem der blitzartigen Überfälle auf arabische Dörfer teilzunehmen, bei denen die Männer aus den Häusern geholt und nach Größe oder Bartlänge zur Exekution ausgesucht wurden und die Frauen zum Beweis, dass sie keine Waffen versteckten, ihren Busen entblößen mussten. Er schleuderte Granaten auf Marktstände und richtete damit ein Blutbad an, dessen Anblick an zerbrochene Töpferwaren und zerplatzte Melonen erinnerte. Auf Massenangriffe folgte immer Massenvergeltung, aber wenn Einzelpersonen getroffen wurden, war eine persönlichere Reaktion angezeigt, und hier konnte Ruby seine besonderen Fähigkeiten ausspielen. Schnell und heimtückisch brachte er die Maschinenpistolen und Rohrbomben zum Einsatz, die er aus einem früheren Leben kannte. Er konnte Heckenschütze, Totschläger oder Würger sein, ein Künstler mit der Klinge oder dem Eispickel (seiner bevorzugten Waffe bei Geheimoperationen), und wie seine Befehlshaber arbeitete er am liebsten allein.
Über hazorer, den Feind, wusste er nichts Genaueres. Seine Kenntnisse beschränkten sich auf das, was seine Kameraden bei Kamingesprächen über die arabische Kultur verlauten ließen: dass sie mit den Knien auf dem Boden und dem Hintern in der Luft beteten und dadurch geradezu zu Schüssen einluden; dass die jahudi für die Ismaeliten allesamt wallad al mitha waren, die Kinder des Todes. Möglicherweise hatten einige von Rubys Opfern die Verbrechen, für die sie bestraft wurden, sogar begangen. Aber darauf kam es nicht an. Worauf kam es an? Die Welt mit Schrecken zu erfüllen, so wie ein tauber Komponist mit Musik, und genau darin war Ruben ben Niemand eine Art Genie. Als professioneller Terrorist hinterließ er Visitenkarten in arabischer Schrift, die der Propagandaminister der Partisanen ersonnen hatte. Diese Notizen mit dem Text AHASA ASSAR WET NAFA EL’AR (Rache wurde geübt, die Schande ist getilgt) steckte er in frisch gebohrte Löcher. Dies war eine Botschaft, so hieß es, die der Feind begriff. Seine Taten erfüllten ihn weder mit Stolz noch mit Scham. Ihm war bewusst, dass es einen Zweck gab, für den der Ba’al schaticha ein Mittel war, und obwohl es ihm völlig gleichgültig war, ob je eine Nation Israel entstand, tat er, was von ihm erwartet wurde, um diese Sache zu fördern.
Eines Nachts im Jahr 1936 oder 1937 während der jüngsten Araberrebellion wurde Ruby zusammen mit drei anderen Milizionären ausgesandt, um einen Bus mit muslimischen Pilgern auf dem Weg zu einem Heiligtum in der Nähe von Ein Musmus zu überfallen. Doch irgendwo an der Straße nach Afula wurden sie von einer britischen Patrouille abgefangen. Sie war von einem Denunzianten alarmiert worden, von denen es viele gab in einer Zeit, da die Zionisten entsetzt waren über die blutige Vorgehensweise der Untergrundkämpfer. Gerade als der Bus mit den Pilgern, die sich an das Gepäck auf dem Dach klammerten, über einen Hügelkamm verschwand, wurde vor dem Kommando eine bewaffnete Barrikade errichtet. Als die Kämpfer in die andere Richtung fliehen wollten, stießen sie auf eine ähnliche Sperre. Bei der folgenden Schießerei wurde der Landau von Kugeln durchsiebt, und drei der vier Insassen wurden verletzt; der vierte auf dem Notsitz neben Ruby starb auf der Stelle, und die Scherben seines Schädels bohrten sich in Rubys Hals. Die Überlebenden wurden ins Zentralgefängnis von Jerusalem geschafft, eine wuchtige Steinfestung und ehemaliges russisches Pilgerhotel, wo sie nach kurzem Aufenthalt in der Krankenstation in die Zinzana-Zellen im untersten Stockwerk verlegt wurden. Nach ihrer Genesung wurden sie nacheinander in den grell erleuchteten Verhörraum gebracht und
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