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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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gefoltert. Der Hagel von Fragen war genauso erbarmungslos wie der Hagel von Hieben, der mit ledernen falakot auf ihre Fußsohlen niederging. Dabei war das Ganze völlig sinnlos, weil ein Knebel sie an jeder Antwort hinderte. Man drückte Zigaretten in ihren Ohren aus, riss ihnen mit Zangen Finger- und Zehennägel aus und rupfte ihnen das Barthaar büschelweise vom Gesicht. Ein Offizier streifte sich mit der Pingeligkeit eines Arztes Gummihandschuhe über, um ihnen die Hoden zu quetschen; man kniff ihnen mit Wäscheklammern die Nase zu und schüttete ihnen krügeweise Wasser in die Speiseröhre, bis es ihnen zu den Ohren herauskam. Dann wurden sie zurück in ihren Kerker gebracht, um sich für die nächste Misshandlungsrunde zu erholen.
    Als man seinen Knebel entfernte, gab Ruby, verschlossen wie immer, nicht einmal seinen Namen preis, den er ohnehin fast vergessen hatte. Dann erwähnte einer der Befrager gegenüber einem ranghöheren Offizier, dass der letzte Kerl auf diese Frage die äußerst originelle Antwort »Mein Name ist Tod« gegeben hatte. Das versetzte dem ba’al schaticha einen Stich. » Mein Name ist Tod!« Seine Stimme war von den Verletzungen rau wie ein Reibeisen, aber auch so laut, dass die anderen in ihren Zellen am Gang seine Äußerung wie einen Schlachtruf wiederholten. Schon seit Ewigkeiten war Ruby nicht mehr so kurz davor gewesen, laut aufzulachen. Und was die Folter anging, so war sie im Grunde ein Segen, da der beißende Schmerz die Wut wiederbelebte, die er nicht mehr von sich aus hervorbringen konnte.
    Eines Tages hörte die Folter auf, und die Gefangenen wurden in einen Hof geführt und dort von einem kurzfristig zusammengestellten Militär- und Zivilgericht im Eilverfahren zum Tod durch den Strang verurteilt. Man überreichte ihnen die für die Todeskandidaten vorgesehene Uniform aus rotem Sackleinen und verlegte sie in Zellen im Erdgeschoss, wo sie auf ihre Hinrichtung warteten. Rubys Kameraden erhielten eine Gemeinschaftszelle, aber der Ba’al schaticha (von dessen Identität die Briten nichts ahnten) wurde auf seine Bitte hin allein untergebracht. In dieser Grabkammer mit einem Eimer und einer läuseverseuchten Pritsche sann Ruby über Fluchtmöglichkeiten nach - aber weniger aus dem starken Wunsch, dem Galgen zu entrinnen, als aus einem durch Jahre barbarischen Handelns verselbstständigten inneren Antrieb. Gestärkt sah er sich auch durch die Entdeckung einer rostigen Rasierklinge, die ein früherer Gefangener in einer Bodenritze versteckt hatte. Aber ehe er überlegen konnte, ob er mit der Klinge einen Stollen freischarren oder einem Wachmann die Kehle durchschneiden sollte, hatte sich die Frage bereits erledigt, denn in diesem Moment wurde die Außenmauer der Nachbarzelle zusammen mit der Trennwand zu Rubys Kammer weggerissen.
    Wie sich herausstellte, missgönnten seine Komplizen Ariye und Ascher dem britischen Kommando die Genugtuung der Vergeltung. Berauscht vom Idealismus der jüdischen Revolution nannten sich Rubys Nachbarn Hasmonäer und sangen oft die Hymne »Soldaten ohne Namen sind wir«. In ihrer ekstatischen Vorfreude auf den Tod für die Heimat hatten sie sich in einer Ananas eine Splittergranate ins Gefängnis schmuggeln lassen. Eigentlich hatten sie vorgehabt, die Granate am Galgen zu zünden und sich dabei einen Abgang zu verschaffen wie Samson bei den Philistern. Als sie jedoch erfuhren, dass andere Gefangene an der Hinrichtung teilnehmen sollten, entschieden sie sich für den sofortigen kidesch ha-schem, den Märtyrertod. Mit der Nationalhymne »Ha-tikwa« auf den Lippen drückten sie die Granate an die Brust und zogen gemeinsam den Stift. Das Gebäude wurde bis auf seine Grundfesten erschüttert, und durch den Schleier aus Staub und den Nebel aus Blut trat Ruby hinaus auf den Gefängnishof. Er nutzte die Benommenheit der Wachen aus, um die Mauer hinaufzuklettern und sich über den Stacheldraht zu wälzen, der ihm die Uniform zerriss und sich in seine Haut bohrte. Dann ließ er sich zur anderen Seite hinunterfallen, landete auf der Straße nach Jaffa und überredete den ersten Bettler, dem er begegnete, ihm seine Lumpen zu überlassen.
    Er versteckte sich in baufälligen Dachböden, die der Witterung ausgesetzt waren, und in überschwemmten Kellern; ließ sich einen Bart stehen und nahm ihn wieder ab, schnitt sich das Haar und ließ es wieder wachsen; trug Schlapphüte, Tarbusch und manchmal sogar den Hidschab und Schleier einer gläubigen Muslimin, die Augen mit

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