Der gefrorene Rabbi
Antimon ummalt. Nach einer Weile benachrichtigte Ruby Jig und Jes, dass es zu gefährlich für ihn war, nach Tel Elohim zurückzukehren. Sie spürten ihn in einem Unterschlupf in Naharya auf und hänselten ihn mit der Bemerkung, dass ihm das Verbrecherfoto, das in jedem Postamt Palästinas hing, nicht gerecht werden konnte, dass aber wenistens ein ansehnliches Kopfgeld auf ihn ausgesetzt war. Dann teilten sie ihm mit ernster Miene mit, dass seine Tante Esther und ihr Gemahl Zerubbabel, der Sekretär des Komitees für Nationale Befreiung, unter den Märtyrern im Kibbuz Szold identifiziert worden waren. Ruby erinnerte sich erst nach einiger Überlegung, wer das war. Später erreichte ihn die Nachricht, dass seine Onkel von einer versteckt lauernden britischen Schwadron gefasst worden waren, als sie bei den Eisenbahnbauarbeiten in Emek Zvulun Minen legen wollten - denn nun richteten sich die Angriffe der Irgunisten nicht mehr gegen die Araber, sondern gegen die Besatzungsmacht. Sie wurden auf den Wällen von Acre aufgehängt. Das Schafott dieser Festung bot (angeblich) einen Blick über das delftblaue Mittelmeer bis nach Europa, das wie das Heilige Land dabei war, sich in ein Beinhaus zu verwandeln.
Ruby stand im heißen chamsin auf dem Wachturm und ließ den Strahl der Quecksilberdampflampe kreisen. Er richtete ihn auf das arabische Dorf im Tal, wo ein Hund bellte, ein Muezzin sang und eine Ud gestimmt wurde. Hinter dem Dorf lagen die Hänge von Galiläa, das Massiv des Karmel und die Küste über Haifa mit ihren kleinen Buchten, in denen die Boote des bet alija vor Anker lagen. Diese Schiffe quollen über von den Ausgestoßenen eines Kontinents, dessen Verbrechen so unfassbar waren, dass nicht einmal die Opfer sie benennen konnten. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, britische Einrichtungen in die Luft zu jagen, arbeiteten die Leute des Widerstands mit der Hagana zusammen, um diese illegalen Einwanderer aus ihren Sargbooten an Land zu schmuggeln. Dort wurden die Flüchtlinge auf die Außenposten Kfar Saba, Gan ha-Sharon, Kiryat Anavim und Bet ha-Arava verteilt. Manchmal schloss sich Ruby den Rettern an, wenn auch nur, um sich von dem endlosen Trott der Bombardierung von Postämtern, Brücken, Baracken und Zügen abzulenken. Er hatte zwar nichts von seiner mörderischen Leistungsfähigkeit eingebüßt, aber diese Einsätze interessierten ihn immer weniger. Sein berühmter Schlachtenzorn war verraucht, und er betrachtete die Überlebenden aus dem Meer, als könnten sie etwas an sich haben, was er verloren hatte. Doch stets wurde er enttäuscht, und er hätte sie am liebsten zurück ins Wasser geworfen. Wenngleich er selbst der Meister des Schweigens war, konnte er ihnen nicht verzeihen, dass sie keine Worte fanden für das, was sie gesehen hatten.
Der heutige Fang war eine Gruppe von Flüchtlingen auf dem Fischkutter eines griechischen Verbündeten der Juden mit dem Spitznamen »der Ganter«. Um sie abzuholen, verließ Ruby nach der Wachablösung den Turm und zog sich die Strickmütze mit den elliptischen Augenschlitzen über den Kopf. Er stieg zu den anderen in den Minerva und wurde zur Küste gefahren, wo er an Bord einer Barkasse ging und hinausruderte, um die Überlebenden abzuholen. Es war die übliche Ansammlung von Phantomen und Gespenstern, von denen keiner mehr ganz ins Leben zurückfinden würde. Doch unter ihnen war auch ein Mädchen mit kahl geschorenem Schädel, das Ruby irgendwie ins Auge stach. Sie trug einen langen Rock aus dickem Flanell und hatte die Beine achtlos gespreizt; wie eine Hausiererin hatte sie sich einen Kissenbezug über die Schulter geschlungen, der anscheinend Bücher enthielt. Sie hatte nichts besonders Einnehmendes an sich, kein charakeristisches Merkmal, außer den träumerischen Blick. Warum löste ihr Bild dann so ein heftiges Prickeln in Rubys Gehirn aus? Ein Wort des Ba’al schaticha genügte (da ihm nur äußerst selten ein Wort über die Lippen kam), und das Mädchen wurde nach Tel Elohim geschickt, wo Ruby ihre weitere Entwicklung verfolgen konnte.
Er hätte schwer erklären können, welche Gefühle sie in ihm weckte, Gefühle, die er weder begrüßte noch ablehnte, sondern einfach aushielt wie ein Gebrechen. Was genau an diesem jungen Ding erregte seine Neugier? Schön konnte man sie bestimmt nicht nennen. Ihr bleiches Gesicht war gesprenkelt mit Sommersprossen, die abzublättern schienen wie getrockneter Schlamm, ihre Hakennase war schmal wie ein Ruder,
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