Der gefrorene Rabbi
Zähne. »Und glaubst du nicht, dass ich weiß nicht, woß is passiert mit dem Sewruga, der woß beschlagnahmt worden is letzten Monat an der Grenze.«
»Dann warum kommst du überhaupt?«, bellte Pisgat.
Der Zwischenhändler ließ sich zu Ironie herab. »Denkst du es dir als Anstandsbesuch.«
Jochebed konnte der Unterhaltung kaum folgen, während der weltgewandtere Max mehr begriff. Die »Sachen«, die der Eismensch noch zu regeln hatte, betrafen eine Reihe von Verbindungsleuten, die er benötigte, um Waren unentdeckt über einen Hindernisparcours von Zollbeamten und Grenzposten zu schmuggeln. In diesem Fall ging es um eine Kiste Schwarzmarktkaviar, die vom Golf von Riga über Land nach Lodz transportiert worden war. Offenbar kam ein legaler Export dieses Luxusguts nicht infrage: Die internationalen Zollgebühren waren bestimmt maßlos, und allein die Steuern auf eingeführte Delikatessen konnten, wie Max vermutete, den gesamten Gewinn auffressen. Möglicherweise machte man damit sogar ein Verlustgeschäft. Man konnte den Kaviar mit anderen, weniger gebührenträchtigen verderblichen Waren kaschieren, doch auch diese Artikel erforderten einen Transport im versiegelten Güterwaggon und später im gekühlten Laderaum eines Schiffs, was natürlich geradezu eine Einladung zu genauer Überprüfung darstellte. Außerdem hatte Pisgat praktisch eingeräumt, dass sein Netzwerk seit der Beschlagnahmung einer Lieferung nicht mehr funktionierte.
Um den Zwischenhändler hinzuhalten, gab der Eismensch zu, dass die Lage im Moment schwierig war. Aber er brauchte nur zwei Tage, um seine Verbindung wiederherzustellen und die Lieferung in die Wege zu leiten. Bis dahin konnte der Störrogen im Eishaus aufbewahrt werden, ohne Schaden zu nehmen.
»In zwei Tagen Poznanski reist er zurück zu seiner datsche am Schwarzen Meer.« Erneut verbiss sich der Zwischenhändler in seine Peitsche.
Fluchend wünschte der Eismensch dem Reichen, dass er von seiner Verfressenheit platzen möge. »Soll ihm farfojlt wern das Zahnfleisch!«
Inzwischen war Jochebed, deren Selbstvertrauen durch Max’ Raffinesse um ein Mehrfaches gewachsen war, zu dem Schluss gelangt, dass sich hier eine einmalige Gelegenheit bot. Während sie dem kriminellen Zwiegespräch der beiden lauschte, hatte sie sich einen Plan ausgedacht: Es war sicher billiger, die legale Überführung eines toten Verwandten nach Übersee zum Zweck der Bestattung in einem Familiengrab zu ermöglichen, als eine Geheimlieferung samt den dabei anfallenden Bestechungszahlungen zu finanzieren. Und welche Tarnung für den Störrogen konnte besser sein als der starre Rabbi (nachdem man seinen Sarg verstärkt und mit Blei oder Zink abgedichtet hatte), dessen gefrorener Zustand zugleich die Frische der Ware bei der Ankunft im Goldenen Land gewährleisten würde?
Mit der Selbstbeherrschung Max Feinschmekers wandte sich Jochebed an die beiden Männer. »Meine Herren …« Sie räusperte sich und senkte die Stimme um ein oder zwei Oktaven. »Meine Herren, kann ich Ihnen sein vielleicht zu Diensten.«
1999
B ernie war außer sich vor Erleichterung über die Heimkehr des Rabbis, obwohl der pflichtvergessene Heilige den mit offenem Mund starrenden Jungen kaum eines Blickes würdigte und sogleich an ihm vorbeihastete, um dringend mit dessen Vater zu reden. Der Alte kam fischäugig und schweißgebadet zurück - der Filzhut war zerdrückt, das Sportjackett beschmutzt, die grelle Papageienmusterkrawatte baumelte um seinen Hals wie eine Schlinge. Anscheinend hatte Rabbi Elieser ben Zephir auf seiner dreitägigen Wanderschaft viel vom Leben gesehen und war zu einer verblüffenden Einschätzung der Welt gelangt, in der er vor Kurzem erwacht war.
»Gibt es die Einkaufspassagen und Dodge Barracudos und Gutschietaschen gemacht, ich glaube, aus Leviathanhaut, und Kirchen von Joisl groß wie Herods Tempel, aber hot es keine Seele.«
All dies erzählte er atemlos - weniger wertend als beeindruckt - Mr. Karp, der gerade nach dem Essen im Lehnsessel ruhte und zunächst gar nicht recht begriff, wer der Eindringling war. Nachdem die Identität des Heimkehrers geklärt war, zeigte sich Bernies Vater vor allem darüber beunruhigt, dass sich der Alte zwischen ihn und den Breitbildfernseher postiert hatte, auf dem er gerade seine Lieblingssendung Keiner mag Larry verfolgte, eine Komödie über einen geplagten Familienvater. Als Mrs. Karp von einem Roman aufblickte, auf dessen Titelbild eine Frau schmachtend in die Arme
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