Der gefrorene Rabbi
eines Grenadiers sank, und ihn daran erinnerte, dass das der Flüchtige aus der Gefriertruhe war, erwiderte ihr Gatte fauchend, dass er das sehr wohl wusste. Daraufhin schob sie sich eine Tablette aus einer herzförmigen Dose in den Mund und erhob sich, um auf Zehenspitzen das Zimmer zu verlassen. Währenddessen berichtete der schmuddelige Rabbi weiter über seinen Erkundungsgang durch das moderne Amerika oder zumindest den Ausschnitt davon, dem er begegnet war.
»Sind die Leute solche chasejrim, schlingen sie, schlingen sie die ganze Zeit; alles, woß sie sehen, sie mampfen. Essen sie, bis schwellen ihnen die Bäuche wie von Goliath mit dem Leistenbruch, und kaufen sie, bis platzen ihre Häuser mit dem elektronischen Nike und dem Balconette-BH von Frederick of Hollywood. Aber sind sie nicht zufrieden.«
Als würde er in einen anderen Gang schalten, riss Mr. Karp an einem Hebel, um seinen Stratalounger in eine aufrechte Position zu manövrieren. Es wurmte ihn gewaltig, dass der alte Schmarotzer seine überflüssige Rückkehr auch noch mit einem unerbetenen Vortrag über Moral und Sitte garnierte. Als überzeugter Anhänger der freien Marktwirtschaft hatte Mr. Karp etwas gegen die läppische Vorstellung, dass es auf Erden ein höheres Prinzip gab als den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Wie kam dieses Eiskastenphantom dazu, ihn, den US-Bürger und Kaufmann Julius Karp, zu belehren - noch dazu in von ihm geborgter Kleidung?
»Reichtum sie haben, von dem würde rot anlaufen ein Rothschild.« Irgendwie schien der Rabbi weniger entrüstet als vergnügt, ja sogar berauscht. »Aber haben sie nicht, woß sie macht glücklich.«
»Und?« Mr. Karp hatte Mühe, seine Ungeduld im Zaum zu halten. Diese Gemeinplätze hatte er schon von Rabbi Birnbaum bei seinen Predigten an den hohen Feiertagen gehört. Allerdings besaß Birnbaum wenigstens die Diskretion, seine Angriffe auf den Mammon zu relativieren, um nicht die Gefühle der Gemeinde zu verletzen, die sein Gehalt bezahlte. Aber von seinem thronartigen Fernsehsessel aus fühlte sich Mr. Karp, wiewohl innerlich stöhnend, dazu verpflichtet, den alten Bittsteller mit dem Hut in der Hand ausreden zu lassen. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Schlage ich vor«, meinte der Rabbi in aller Bescheidenheit, »dass ich gebe zurück den Menschen ihre Seele.«
»Ach«, erwiderte Mr. Karp. »Und ich dachte schon, Sie hätten sich was wirklich Ehrgeiziges vorgenommen.« Er gluckste über sein Bonmot.
Unbeeindruckt fuhr der Alte fort. »Möchte ich gründen einen bet ha-midrasch, ein Haus der Lehre, in doß sie können kommen, jehudim und gojim, und werden geboren ganz neu. Hob ich schon geworfen a Auge auf ein kleines Haus bei dem Rebel Yell Shopping Plaza …«
»Langsam, langsam!« Mr. Karp hob den Arm wie ein Verkehrspolizist. »Hab ich das richtig verstanden? Sie wollen eine Art religiöses Insitut eröffnen, wo Leute etwas lernen können? Was genau lernen?«
»Meine ich ›Lehre‹ nicht wie herkömmlicher Sinn. Mehr wie, wie heißt, Übungen.«
»Sie meinen, wie dieser Pilatikurs, den meine Frau mal besucht hat, wo sie anschließend eine Woche ins Bett musste? Sind Sie für so was nicht ein bisschen außer Form?« Wieder kicherte er.
»Spreche ich von spirituellen Übungen«, erwiderte der Rabbi voller Würde. Dann klagte er über die Blasen an seinen Füßen und bat Mr. Karp, sich setzen zu dürfen.
»Nur zu.« Der Haushaltsgerätehändler merkte, dass ihm nicht ganz wohl war bei der Einladung.
Mit einem Stöhnen ließ sich der Alte auf dem Lehnstuhl nieder, den Mrs. Karp geräumt hatte, sodass beide jetzt den Fernseher vor sich hatten. Auf dem Bildschirm hatte der missbrauchte Familienvater - auf das Drängen eines Eheberaters hin, der ihn aufforderte, mit seiner weiblichen Seite in Kontakt zu treten - heimlich Kleider seiner Frau angezogen. Ein unsichtbares Publikum kreischte wie schnatternde Gänse.
»Nicht sei Mannsgerät an einem Weib, nicht kleide sich ein Mann in Weibesgewandtuch«, zitierte der Rabbi wie eine wehmütige Reminiszenz. Dann kam er aufs Thema zurück und bot Mr. Karp die einmalige Chance an, in sein Geschäft einzusteigen. »Is günstige Gelegenheit, woß kommt nicht wieder.«
Mit der Fernbedienung machte Mr. Karp den Fernseher leiser. Dann schob er die Brille zurück über seinen Nasenhöcker und drehte den Sessel zu Rabbi Elieser. »Wie bitte?«
»Kannst du nehmen von der Bank a Kredit, dann du brauchst keinen Schekel, und kommt doß Geld
Weitere Kostenlose Bücher