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Der gefrorene Rabbi

Der gefrorene Rabbi

Titel: Der gefrorene Rabbi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Stern
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reichte kaum, um einen Zollbeamten zu bestechen, ganz zu schweigen vom Erwerb eines Passes oder einer schifkarte. Und selbst wenn sie die Mittel für die Reise von Lodz bis zum Hafen von Hamburg und danach über den Nordatlantik besessen hätte, wie sollte sie einen Kasten mit sich schleppen, der einen Eisblock in Heiligengröße enthielt?
    Doch diese Fragen überwältigten sie nicht, sondern stellten eher abstrakte Probleme dar, so wie sie das Gefühl hatte, dass das Gewicht ihres Grams in der ungewohnten Kleidung zu einer fast hypothetischen Bürde geschrumpft war. Außerdem bot ihre Maskerade über die Erleichterung ihres bleiernen Herzens hinaus klare praktische Vorteile. Zum einen konnte sie als Mann müheloser mit den Gefahren der Reise zurechtkommen … zum Beispiel als Max Feinschmeker. Wie aus dem Nichts war ihr der Name eingefallen, und sie erwärmte sich sogleich dafür, wie sich seine kecken Konsonanten über ihre Trübsal zu mokieren schienen. Mochte er auch nicht vollkommen passen, so war es doch ein Name, in den sie letztlich hineinwachsen würde wie in ihren neuen Anzug. Ja, von nun an war sie Max Feinschmeker, ein Neffe mütterlicherseits der verblichenen Eheleute Frostbissen, ein junger Mann, für den die Schwierigkeiten der Reise ins Goldene Land ein großes Abenteuer darstellten. Jochebed überkam ein Anflug von Aufregung.
    Natürlich ließ sich einwenden, dass es eine Vielzahl von Gefälligkeiten gab, die eine Frau leichter erlangen konnte - ein Gedanke, der Max Feinschmeker mit starkem Widerwillen erfüllte. Dieses frühe Zeichen ihrer inneren Spaltung löste ein Flattern in Jochebeds Brust aus: Nein, sie war jetzt Max, ein skeptischer, fortschrittlicher Jüngling, ein entschiedener Verfechter der jüdischen Aufklärungsbewegung Haskala, und der blickte mit Verachtung auf die verstaubte Tradition, nach der das Mädchen erzogen worden war, wenngleich ihn diese Tradition, wie die Gegenwart des Mädchens selbst, noch in seiner modernen Haltung behinderte. Danach kehrten Jochebeds Gedanken kleinmütig zur Frage des Kapitals zurück, zu den Dokumenten, die vielleicht gefälscht werden mussten, und ganz allgemein zu der feindlichen Welt, die es zwischen der maroden Gettostraße und dem fernen Amerika zu durchqueren galt. Müde erhob sie sich schließlich von der Pritsche und setzte sich kess die Melone auf das hübsche geschorene Haupt. Dann machte sie sich auf den Weg zu Pisgats Eishaus. Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wie sie weiter vorgehen sollte, aber ihr Schritt war von einer Leichtigkeit, deren Salo Frostbissens geschundene Tochter niemals fähig gewesen wäre.
     
    Entschlossen klopfte sie an das Drahtglasfenster an der Tür zu Salman Pisgats unordentlichem Büro, während hinter ihr Arbeiter in Lederschürzen Rinderhälften schleppten wie verwundete Kameraden und Karren zogen, die mit tropfenden Gemüsekisten beladen waren.
    Bald darauf wurde Jochebed vorgelassen. »Bin ich Max Feinschmeker.« Nach dieser vorsichtigen Erklärung fasste sie rasch Mut. »Ein naher Verwandter mütterlicherseits der Familie Frostbissen. Möchte ich mit dem Besitzer dieses Betriebs sprechen, um abzuholen den Sarg samt Inhalt, woß hat hinterlassen mein Onkel Salo bei seinem Ableben.« Diese Rede hatte sie auf dem ganzen Weg geübt.
    Der Eismensch kratzte sich den stacheligen, birnenförmigen Kiefer. Wie alle anderen hatte er von Salos blutigem Ende gehört; sogar die Polizei hatte ihn nach dem Angestellten gefragt, der über zwanzig Jahre lang bei ihm gearbeitet hatte. Allerdings blieben solche Ermittlungen weitgehend eine Formalität, sofern das Verbrechen nicht über die Grenzen des Gettos hinausdrang. Salos Tod hatte Pisgat zum einen an die Existenz des Nachtwächters erinnert, der als festes Inventar des Unternehmens kaum seinen Unterhalt verdiente, und zum anderen an einen längst vergessenen Posten, der in seinem Haus eingelagert war. Daher hatte er schon fast damit gerechnet, dass jemand auftauchen und ihn zurückfordern könnte. Als alter Ziegenbock hatte er darauf gehofft, dass die Tochter vorsprechen würde, von deren Schicksal er ebenfalls Wind bekommen hatte, und so war er sichtlich enttäuscht darüber, dass ein anderer Vertreter der Familie erschienen war. Er schlug die Klappen seiner Pelzmütze nach oben, um Luft an seine Segelohren zu lassen, und dachte laut darüber nach, was wohl aus Jochebed geworden war.
    Trotz ihrer inneren Aufgewühltheit gelang es dem Mädchen, Max’ nüchterne

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