Der gefrorene Rabbi
Fassade aufrechtzuerhalten. »Die Tochter, ist sie unpässlich.« Mehr drang nicht über ihre Lippen.
»Schade.« Pisgat, der schließlich andere Sorgen hatte, ließ das Thema auf sich beruhen. Auf jeden Fall war er froh über die Gelegenheit, endlich einen lästigen Gegenstand loszuwerden, der ihm viele Jahre lang kostbaren Lagerraum weggenommen hatte. Andererseits willigte er nur ungern in einen geschäftlichen Vorgang ein, ohne dabei einen Gewinn zu erzielen.
»Wozu willst du haben doß Ding?«, erkundigte er sich misstrauisch, als hätte er seine eigenen Pläne mit der Reliquie.
Das Mädchen scharrte mit den übergroßen Schuhen. Warum war sie eigentlich so darauf versessen, sich zum Kurator dieser archäologischen Kuriosität zu machen? Sie nahm gerade Haltung an. »Will ich geben dem rebbe eine angemessene Ruhestätte.«
Pisgat nahm eine Prise Schnupftabak aus einer Bruyèredose und stopfte sie in ein haariges Nasenloch. Nachdem er kraftvoll geniest hatte, wischte er sich die Nase am Ärmel ab. »Ist er doch gut aufgehoben hier.« Er zwinkerte mit rot geränderten Augen, weil ihm gerade eingefallen war, dass er eine imaginäre Lagerpacht verlängern könnte.
Ihre Erwiderung gestaltete sich beinahe als Frage. »Möchte ich ihn bringen an einen dauerhafteren Ort?« Sie zuckte innerlich zusammen über ihren Mangel an Überzeugungskraft.
Der Besitzer zog eine struppige Braue hoch. »Glaubst du, doß Eishaus von Pisgat will es auswandern?« Als der Bursche keine Antwort gab, lehnte er sich in seinem Drehstuhl zurück und geriet ins Nachdenken. Tatsächlich war es ein Skandal, dass die Überreste des gefrorenen zadik so lange über der Erde aufbewahrt worden waren. Er hätte schon längst bestattet werden müssen. »Aber entschuldige, siehst du überhaupt nicht aus wie ein Strenggläubiger; take, nicht einmal wie a jid siehst du aus. Woß du willst mit dem alten Fossil?«
»Er …« Das Mädchen stockte. Doch dann dachte sie an den Auftrag ihrer Mutter, an den blinden Glauben ihres Vaters und fasste sich. Der Rabbi war im Guten wie im Bösen auch ihr Schicksal. »Ist er ein heiliges Vermächtnis von unserer Familie, und bin ich es Onkel Salo schuldig, mich anzunehmen von ihm.«
»Hmpf.« Achselzuckend kehrte Pisgat zu seinem geschäftsmäßigen Gebaren zurück. »Wenn du ihn abholst, musst du tragen die Bestattungskosten. Kommt auch eine Gebühr für den Transport dazu, natürlich, außerdem steht noch aus die Lagerpacht für die Zeit nach dem Tod von deinem Onkel.« Er nannte einen Wucherbetrag.
Jochebed war einen Moment lang bestürzt, doch trotz allem, was sie durchgemacht hatte, hatte sie den Instinkt für ehrlichen und weniger ehrlichen Handel nicht verloren. Und wenn ihre Gewieftheit versagte, konnte sie immer noch auf die von Max Feinschmeker zurückgreifen. »Wenn ich es mir überlege genau … vergessen wir die Sache.« Sie traf Anstalten, auf dem Absatz kehrtzumachen.
»Warte!«, rief Pisgat. »Was ist denn mit dir? Du hoßt noch nie gehört von Verhandlungen? Oder willst du mich führen hinters Licht?«
Langsam wandte sich Jochebed zurück und zermarterte sich das Gehirn nach besseren Argumenten. Immerhin erwies sie dem alten forzer doch einen Gefallen. Gerade als sie diese Erkenntnis vorbringen wollte, schob ein anderer Mann die Bürotür mit der Schulter auf. Er trug eine Seemannsjacke aus Robbenfell - die übliche Tracht der Halbwelt, mit der das Mädchen schmerzhaft Bekanntschaft gemacht hatte.
»Hob ich draußen auf meinem Karren eine Ladung Belugakaviar. Dreiviertelpud frisch vom Güterwagen aus Wilna«, verkündete der Neuankömmling dem Besitzer. Dieser machte »Scha!« Konnte er nicht sehen, dass sie nicht allein waren? Der Mann klopfte sich mit dem Griff einer Peitsche an einen spitzen Zahn und schenkte dem Jüngling weiter keine Beachtung, als er sein Ultimatum vorlegte: »Willst du ihn oder nicht? Gouverneur Poznanski, der mit dem Palast an der Piotrkowskastraße, er zahlt gutes Geld und stellt er keine Fragen. Entscheid dich, hob ich keine Zeit.«
Erbost blaffte Pisgat zurück: »Hob ich dir nicht gesagt, dass ich hob schon einen Käufer mit einer Bestellung von dem Millionär Belmont in Amerika, Vereinigte Staaten? Ich garantiere. Bloß muss ich erst regeln noch ein paar Sachen.«
Pisgats gedrungener Besucher, dem das strähnige Haar wie verfilztes Seegras aus der Mütze hing, kaute ungeduldig an seiner geflochtenen Peitsche. »Much ich hef Fachn eln.« Dann löste er die
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