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Der Gefundene Junge

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Titel: Der Gefundene Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
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geschwungenen Bug, der in einem geschnitzten Schlangenkopf endete. Es war ein einfaches Schiff mit einem niedrigen Deck und einem kastenförmigen Aufbau in der Mitte. Eine geisterhafte Gestalt stand am Bug; sie trug seltsam lose Kleidung, die ihr um die Beine wehte. Aus der Ferne fiel es Hap schwer, genau zu sagen, was er vor sich hatte, aber es sah aus wie ein Mann mit einem bleichen Gesicht ohne Haare, das von dunklen Flecken übersät war.
    Â»Da ist ein grau gekleideter Mann«, sagte Hap. »Ich glaube, er ist allein.«
    Â»Und das kannst du von hier aus sehen? Deine Augen sind wirklich erstaunlich, Hap.«
    Während Hap durch das Fernglas schaute, war er sicher, dass sich der Hals des Fremden nach vorn reckte. Hap lief einkalter Schauder über die Arme. Es schien so, als würde dasselbe Instrument, das es ihm ermöglichte, den Fremden genauer zu betrachten, es diesem Fremden auch erlauben, ihn genauer zu sehen. Der Mann griff in eine Tasche an seiner Seite und nahm etwas heraus, das aussah wie ein Sack. Dann zog er ihn sich über den Kopf, so dass er sein Gesicht bedeckte und nur ein einzelnes Augenloch an einer Seite des Kopfes frei ließ.
    Jeder einzelne Muskel in Haps Körper spannte sich an wie eine Bogensehne. Er riss sich das Fernglas vom Auge und drückte es Umber in die Hand.
    Â»Ich glaube, seine Augen sind sogar noch besser als meine«, sagte Hap leise.
    Umber nahm das Fernglas wieder an sich. »Hast du dieses Schiff schon mal gesehen, Hap?«
    Â»Nein«, sagte Hap. Er verschränkte die Arme vor der Brust und zitterte.
    Umber fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. »Nima, ich glaube, wir sollten unseren Verehrer abschütteln, so groß seine Leidenschaft auch sein mag. Aber ohne viel Aufhebens darum zu machen. Was schlägst du vor?«
    Nima reckte ihr Kinn hoch, während sie nachdachte. »Wir werden unseren Kurs ganz allmählich ändern und in nördliche Richtung weiterfahren. Wenn die mondlose Nacht hereinbricht, kann Boroon im Schutz der Dunkelheit rasch abdrehen und wir lassen das Schiff hinter uns.«
    Umber nickte. »Sehr gut, meine Kapitänin. Komm jetzt, Hap«, sagte er. Seine Sorge schien verflogen und seine übliche Begeisterung kehrte zurück. »Zurück in die Kombüse!«
    Umber forderte Hap auf, es sich in der Hauptkajüte bequem zu machen, und stürmte in die Bordküche. Bevor sich die Tür hinter Umber schloss, sah Hap, wie Balfour einen flehentlichen Blick gen Decke richtete. Schon bald drang ein konstantes Geklapper und Geplapper durch die dünne Holztür: »Oh, du bist aber ein schöner Fisch – sieh nur, wie groß du bist, und soo frisch! Ach, komm schon, Balfour, ich weiß genau, wie man einen Fisch filetiert. Ich bin ein absoluter Zauberer mit dem Messer und … oh, hab ich dich gepikst? Ach herrje, du blutest ja. Ist das heiß genug? Autsch! Ja, mit Sicherheit. Und sag mir bitte, dass du noch Zitronen hast – es ist alles verloren, wenn du keine Zitronen mehr hast! Ha, Zitronen in Hülle und Fülle!« Da Oates döste, Sophie zeichnete und Nima irgendwo anders beschäftigt war, blieb Hap nichts anderes übrig, als sich einen Platz zu suchen, wo er sich hinsetzen und nachdenken konnte. Er ließ sich nahe der Kombüse am Ende des langen Esstisches nieder. Dann faltete er die Hände, schloss die Augen und sammelte sich, um sich im nächsten Moment innerlich gegen die Wand zu werfen, die seine Erinnerung blockierte. Doch seine Willenskraft zerschellte daran wie ein Ei an einem Stein. Die Barriere war unüberwindbar. Nichts drang hindurch, nicht der leiseste Hinweis auf irgendeine Vorgeschichte aus der Zeit vor seinem Erwachen in der begrabenen Stadt. Sein Leben schien weiterhin nicht mehr als einige Stunden alt, doch schon jetzt lastete das Gewicht vieler unbeantworteter Fragen auf ihm.
    Eine Sache wunderte ihn besonders, auch wenn sie vielleicht das kleinste seiner vielen Rätsel darstellte. Es war die Art, wie Umber sich vor kurzem zu ihm hingelehnt und ihm die Namenjener Orte zugeflüstert hatte, ganz leise, um sicherzugehen, dass die anderen sie nicht hörten. Er sagte sich diese Namen im Stillen noch einmal vor: Nju-Jork, Lon-don. Paris. To-ki-o. Moss-kau. Waren das Dörfer, Städte oder Länder? Warum waren sie so geheim, fragte Hap sich, und die anderen nicht? Warum?
    Bevor er weiter über diese Frage nachgrübeln konnte,

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