Der Gefundene Junge
herein.«
Sie trat ein, hielt den Blick jedoch gesenkt.
Umber stand auf. »Wie kommst du mit den Illustrationen voran, Sophie?«
»Ganz gut, Lord Umber«, sagte Sophie zum FuÃboden.
»Ich bin sicher, sie sind ganz hervorragend«, sagte Umber. »Zeig Hap doch mal, was du ihm mitgebracht hast.«
Ohne den Blick zu heben, überreichte Sophie Hap den Korb, und er stellte ihn auf seinen SchoÃ. Darin lagen Dutzende ledergebundene Bücher. Hap las die in Gold geprägten Worte auf dem Titel des obersten Bandes:
Die Bücher von Umber:
Aufstieg, Fall und Wiedergeburt der Stadt Kurahaven
»Diese Bücher sind meine groÃe Leidenschaft«, sagte Umber. »Das ist erst mal nur eine Auswahl, aber unten im Archiv sind noch mehr. Diese Welt ist voller erstaunlicher Kreaturen und merkwürdiger Geschichten, Hap. Ich erforsche sie und halte sie in diesen Chroniken fest. Eines Tages werde ich sie der ganzen Welt zu lesen geben. Aber in der Zwischenzeit können sie dir die Zeit vertreiben, während wir anderen schlafen. Wer weiÃ? Vielleicht findest du darin ja etwas, das deinem Gedächtnis auf die Sprünge hilft.«
»Das wäre schön«, sagte Hap.
Umber lächelte. »Ach, wenn ich mir das vorstelle, keinen Schlaf zu brauchen ⦠Du kannst bis zum Morgen lesen, und das jede Nacht. Ich beneide dich, Hap; all die zusätzlichen Stunden, um deinen Kopf mit Büchern vollzustopfen. Ich dagegen kann meine Augen kaum noch offen halten. Verbringe die Nacht, wie auch immer du möchtest. Solange du Aerie nicht verlässt, bist du in Sicherheit. Gute Nacht, mein Freund.«
»Gute Nacht, Hap«, flüsterte Sophie und ging.
Umber blieb auf der Türschwelle noch einmal stehen. »Ãbrigens haben wir Männer unten an den Docks postiert, falls Occo wirklich um Mitternacht zurückkommt. Die Falle ist bereit, aber ich bezweifle, dass unser verwundeter Freund auftaucht.«
Hap hörte vom Bett aus, wie auf Aerie langsam Ruhe einkehrte. Umbers Schritte wurden immer leiser, während er die Treppe zu seinem Turm auf dem Dach hochstieg. Irgendwo im Flur schloss sich eine Tür, vielleicht die zu Sophies Zimmer. Er hörte, wie Balfour Oates eine gute Nacht wünschte. Dann war es still bis auf das Rauschen der Wellen, die viele Meter unter seinem Fenster an den Fuà von Aerie schlugen. Er schaute sich die Titel der anderen Bücher in dem Korb an:
Die Bücher von Umber: Die Ursprünge von Aerie
Die Bücher von Umber: Eine Geschichte der Dwerghs
Die Bücher von Umber: Der Angriff auf Petraportus
Die Bücher von Umber: Die Bohnenstange und andere Wunder aus Londria
Ganz unten lag noch ein Band mit dem Titel Die Bücher von Umber: Magische Einwohner von Celador . Das war doch ein guter Anfang. Er hoffte, dass darin etwas über grünäugige, weit springende, niemals schlafende Leute stand. Er schlug das Buch auf und legte es sich auf die Oberschenkel. Doch als plötzlich eine schneidende Stimme durch die angelehnte Tür drang und ihn erschreckte, fiel es herunter und landete mit einem lauten Knall auf dem Boden.
»Happenstance.« Es war Lady Truden. Sie drückte die Tür auf und betrachtete vorwurfsvoll das heruntergefallene Buch. »Diese Bücher sind sehr kostbar. Bitte behandele sie mit Sorgfalt. Woher hast du sie überhaupt?«
»Lord Umber hat sie mir gebracht«, erwiderte Hap und ärgerte sich, dass seine Stimme so piepsig klang.
Sie drehte den Kopf und starrte ihn mit einem zusammengekniffenen Auge an. »Hat er das? Und du schaust dir die Bilder an?«
»Was? Nein, ich werde sie lesen«, sagte Hap. Er hob das Buch vom Boden auf und wischte mit dem Ãrmel über den Ledereinband.
»Ach wirklich?«, sagte Lady Tru, als bezweifelte sie, dass er lesen konnte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich an den Türrahmen. »Ich habe gehört, du würdest niemals schlafen. Das stimmt doch sicher nicht, oder?«
Hap spürte, wie er rot anlief. »Doch, Lady Truden.«
Die Antwort schien ihr nicht zu gefallen. »Wie sonderbar «, sagte sie. »Nun ⦠hat Lord Umber dir gesagt, was hier erlaubt ist und was nicht?«
»Nein, Lady Truden.«
»Dann hat er es wohl vergessen. Darf ich dir dann als diejenige, die Ordnung in dieses Haus bringt, vielleicht einige Regeln vorschlagen?«
Hap biss sich auf die Unterlippe.
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