Der Gefundene Junge
über einen Steinhaufen und ging hindurch, hinein in die legendäre Burg von Petraportus. Das hier war eines der Wunder seiner Zeit: die Burg eines See-Imperiums, deren Halle so groà war, dass ein ganzes Schiff in das Becken unter ihrer Kuppel hineinfahren konnte.
Das Wasserbecken war noch da, doch die Kuppel war eingefallen und hatte es halb unter Steinen begraben. Die Marmorsäulen, die einst das Dach gestützt hatten, waren geborsten und umgestürzt. Dennoch boten die verbleibenden Wände einen gewissen Schutz, so dass das Becken trotz des Unwetters, das über die Ruine hinwegfegte, erstaunlich still dalag. Hap hörte, wie die Wellen an die AuÃenmauer krachten und ihr Zerstörungswerk zu vollenden suchten. Die Steinmauern knirschten. Er sah ein weiteres Stück aus der Wand brechen und in das Becken klatschen.
Noch während das Wasser von dem Aufprall kleine Wellen schlug, wurde es schon von etwas anderem aufgewirbelt. Hap erblickte einen dunklen Körper knapp unter der Wasseroberfläche. Blasen stiegen auf und ein Kopf kam zum Vorschein. Es war der eines Pferdes, doch mit harter, gepanzerter Haut und einer stacheligen Finne an Stelle der Mähne. Hap biss die Zähne zusammen. Occos Pferd . Der Hals des Tieres drehte sich zur Seite und ein braunes Auge starrte ihn an. Dahinter erspähte Hap sogar etwas noch Unheilvolleres: den Bug von Occos Schiff, der hinter einer umgestürzten Säule hervorlugte.
Er griff sich mit der Hand an die Wange, damit seine Zähne nicht so klapperten, und sah sich in der Burg um. Der Torbogen zum Westturm lag genau gegenüber und um dorthin zu gelangen, musste er um das Becken herumgehen.
Das Seepferd schwamm auf der Stelle und beobachtete ihn. Er warf ihm einen finsteren Blick zu und ging los. Jeden Moment konnte das Schicksal zuschlagen. Entweder würde ihm der Rest der Kuppel auf den Kopf stürzen, oder Occo würde hervorspringen und ihn kidnappen. Das ist doch Wahnsinn , schrie ein Teil von ihm. Woher willst du wissen, dass Umber tatsächlich am Leben ist? Lauf weg! Doch er ignorierte die Stimme. »Sei auf alles gefasst«, sagte er laut.
In einer geschützten Nische auf halbem Weg um das Becken sah er zwei Fässer mit Wasser auf dem Boden stehen, daneben Asche von einem Lagerfeuer, zwei an Felsblöcken befestigte Hängematten, einen kleinen Herd und noch ein paar andere bescheidene Habseligkeiten. Der Fischer und seine Frau , erinnerte er sich, und im selben Moment erblickte er ihre kalten, leblosen Körper auf dem Boden.
Hap wusste nicht, was ihnen zugestoÃen war, doch er war sich sicher, dass Occo die Schuld daran trug. Sie lagen nebeneinander auf den Steinen. Ihre Gesichter waren vom Schrecken gezeichnet; ihre Augen standen offen und die Münder waren in einem Schrei erstarrt. Regen benetzte ihre wachsbleichen Wangen. Hap wandte sich ab und hielt sich die Augen zu, aber die Gesichter blieben ihm im Kopf. Diese armen Leute , dachte er. Er erinnerte sich, wie er einen Blick auf Occo erhascht hatte. Er hatte lediglich die Oberseite seines bleichen Kopfes erblickt.
Was um alles in der Welt haben sie gesehen?
29
Hap hörte ein Platschen im Wasser hinter sich. Occos Pferd war näher herangeschwommen. Er packte einen Stein und schleuderte ihn nach dem seltsamen Wesen, doch es drehte nur den Kopf zur Seite und lieà ihn mit einem Schnauben an sich vorbeifliegen. Aus seinen Nüstern schossen feuchte Fontänen hervor.
»Ich verabscheue dich. Und deinen Meister auch«, sagte Hap.
Das Pferd folgte ihm, während er von Stein zu Stein sprang, bis er den Westturm erreichte. Abgesehen von ein paar Löchern in den Wänden war der Raum im Fuà des Turms unversehrt. Eine Wendeltreppe führte nach oben und auÃer Sichtweite. Er musste seinen ganzen Willen zusammennehmen, um den Fuà auf die erste Stufe zu setzen. »Dann mal los«, sagte er laut und begann seine verrückte Reise den bröckelnden Turm hinauf.
Wasser strömte die Stufen herab. Er kam an verschiedenen Räumen vorbei; einen davon durchquerte er, um auf der anderen Seite seinen Aufstieg fortzusetzen. Die Zimmer waren schon vor langer Zeit ausgeräumt worden; jetzt gab es nur noch Nester in den Wandlöchern. Die Vögel darin konnten Hap nicht sehen, aber sie spürten, dass jemand vorbeikam. Hap konnte erkennen, wie sie in der Dunkelheit ihr Gefieder sträubten.
Occo muss verrückt sein , fand Hap. Oder er
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