Der Gefundene Junge
Wasser wieder ablief, blieb eine dunkle Kreatur mit einem hageren Reiter zurück. Occo mit seinem Pferd! , dachte Hap. Innerhalb von Sekunden teilte sich der zerfurchte Schwanz vom Ende her und verwandelte sich in kräftige Pferdebeine. Die Kreatur stand auf, schüttelte das Wasser ab und galoppierte mit Occo auf seinem Rücken hinter Dodd her.
Dodd hielt an und zog sein Schwert. Er schien zu überlegen, was besser war: sich zu verteidigen oder in die Sicherheit des Pförtnerhauses zu fliehen. Er entschied sich für die Flucht.
Als Hap sah, wie schnell Occo sich näherte, zögerte er nicht länger. Das durfte nicht noch einmal passieren. Er rannte in den groÃen Saal und schrie: »Occo ist auf der Auffahrt! Er verfolgt Dodd!«
Oates polterte, gefolgt von Hap, die Treppe hinunter. Balfourkam hinterher, und zwar schneller, als Hap es von einem Mann mit so vielen schmerzenden Gliedern erwartet hätte. Oates stieà die Tür des Pförtnerhauses auf und rannte nach drauÃen.
Balfour rief Hap hinterher: »Happenstance, warte! Du darfst da nicht hinaus!« Hap tat so, als hätte er ihn nicht gehört, und lief Oates nach. Die hölzernen Türen des Pförtnerhauses waren geöffnet, doch das Fallgitter war heruntergelassen worden. Hap schaute zwischen den Eisenstäben hindurch, voller Angst, was er sehen würde. Er spürte eine von Oatesâ kräftigen Händen auf seiner Schulter.
Dodd war nur noch einen Steinwurf entfernt. Occo und sein Pferd waren dagegen nirgends zu sehen. Gott sei Dank! , dachte Hap, doch dann bemerkte er, in welchem Zustand Dodd war. Sein Schwert lag hinter ihm auf dem Weg; Dodd selbst schwankte, ging in die Knie und begann zu kriechen.
Wilkin und Barkin waren bereits durch die schmalen Türen zu beiden Seiten des Fallgitters nach drauÃen gestürmt. Sie griffen Dodd unter die Arme, schleppten ihn ins Pförtnerhaus und setzten ihn auf einen Stuhl. Wilkins Gesicht war vor Wut und Sorge rot angelaufen. »Wir haben nicht gesehen, was passiert ist. Dodd â es tut mir so leid.«
Dodd klapperte mit den Zähnen und rang nach Luft. Hap sah Blutergüsse an seinem Hals. Aus vier Einstichen an der linken Seite floss das Blut in Strömen. Hap sah genau vor sich, wie sich Occos lange Krallen hineinbohrten.
»Sein ⦠Gesicht â¦Â«, stieà Dodd heiser hervor. »Ich habe seine Maske zur Seite gezogen ⦠und noch ein Auge gesehen ⦠wie ein Katzenauge ⦠widerlich â¦Â«
»Ganz ruhig, Dodd«, sagte Barkin. »Du kannst später erzählen. Wilkin, hol den Erste-Hilfe-Koffer, den Umber uns gegeben hat!«
Wilkin eilte los. Dodd schaute in die Gesichter der Umstehenden. Er hielt einen Moment bei Hap inne, bevor er sich an Balfour wandte. »Er hat gesagt ⦠wenn wir Lord Umber lebendig zurückhaben wollen â¦Â« Dodd fuhr mit der Hand in seinen Mantel, suchte darin herum und holte ein gefaltetes Blatt Pergament heraus. Mit zitternder Hand schob er es Balfour hin. Er musste husten, bevor er weitersprechen konnte. »Er hat mir gesagt ⦠wir sollen tun, was da steht, oder Umber stirbt.«
Balfour nahm das Pergament, faltete es auseinander und überflog die Nachricht. Als er fertig war, schloss er die Augen und wischte sich mit der Hand über das Gesicht.
»Was steht drin?«, fragte Oates.
»Hap, komm mit hinein«, sagte Balfour.
Sie standen im Erdgeschoss von Aerie, dort, wo der Wasserfall das quietschende Wasserrad antrieb. Der Brief lag zu ihren FüÃen; Balfour hatte ihn fallen gelassen, nachdem er ihn laut vorgelesen hatte. Er war in einer spinnenartigen Schrift verfasst, mit fleckiger, abblätternder Tinte in einer Farbe zwischen Rot und Braun. In Haps Kehle bildete sich ein Kloà bei der Vorstellung, welche Flüssigkeit Occo zum Schreiben benutzt haben könnte.
»Was um alles in der Welt sollen wir bloà tun?«, murmelte Balfour.
Lady Truden umkreiste die Gruppe mit stampfenden Schritten. »Genau das, was der Brief verlangt«, sagte sie. Sie stach mitdem Zeigefinger in Richtung des Pergaments. »Und zwar bald! Binnen einer Stunde, sonst wird Lord Umber von Petraportus auf die Felsen herabgeworfen!«
Hap schaute zu ihr auf. Sie hatte die Lippen so fest aufeinandergepresst, dass sie ganz blutleer waren. Ãber Lady Trudens Schulter hinweg sah er Sophie am Fuà der Treppe stehen; sie war den
Weitere Kostenlose Bücher