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Der Geheimcode

Der Geheimcode

Titel: Der Geheimcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin Colfer
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in der Hand von Madame Ko, die in Wirklichkeit gar nicht Madame Ko war, sondern eine andere zierliche Asiatin. Ein Lockvogel.
    »Du bist tot«, sagte die Frau. »Ja«, bestätigte Madame Ko und trat aus dem Schatten hervor. »Und wenn du tot bist, ist auch dein Prinzipal tot. Du hast versagt.«
    Juliet legte die Handflächen aneinander und verneigte sich tief. »Das war ein hinterhältiger Trick, Madame«, sagte sie, bemüht, respektvoll zu klingen.
    Ihre Sensei lachte. »Natürlich. So ist nun mal das Leben. Was hattest du erwartet?«
    »Aber ich habe die Killer doch komplett umgeniet... äh, vollständig außer Gefecht gesetzt.«
    Madame Ko tat ihren Einwand mit einer Handbewegung ab. »Purer Zufall. Zum Glück für dich waren das keine echten Killer, sondern Absolventen der Akademie. Was sollte der Unsinn mit der Leine?«
    »Das ist ein Trick vom Wrestling«, erklärte Juliet. »Man nennt ihn ›Clothesline‹.«
    »Unzuverlässig«, sagte die Japanerin. »Du hast nur gesiegt, weil das Glück auf deiner Seite war. Und Glück allein reicht in unserem Geschäft nicht.«
    »Es war nicht meine Schuld«, protestierte Juliet. »Da war dieser Kerl auf dem Markt, direkt vor meiner Nase. Ich musste ihn erst aus dem Weg räumen.«
    Madame Ko tippte ihr an die Nasenwurzel. »Still, Mädchen. Denk nach. Was hättest du tun müssen?«
    Juliet verneigte sich noch tiefer. »Ich hätte den Teppichhändler sofort ausschalten müssen.«
    »Genau. Sein Leben bedeutet nichts. Vollkommen unwichtig verglichen mit der Sicherheit des Prinzipals.«
    »Aber ich kann doch nicht einfach unschuldige Menschen töten«, protestierte Juliet.
    Madame Ko seufzte. »Ich weiß, Kind. Und deshalb bist du noch nicht bereit. Du kannst sämtliche Techniken, aber dir fehlt es an Konzentration und Beherrschung. Vielleicht nächstes Jahr.«
    Juliet sackte das Herz in die Hose. Ihr Bruder hatte den blauen Diamanten im Alter von achtzehn Jahren erworben - der jüngste Absolvent in der Geschichte der Akademie. Sie hatte gehofft, dieselbe Meisterleistung zu vollbringen. Jetzt würde sie es in zwölf Monaten noch einmal versuchen müssen. Es war zwecklos, zu widersprechen. Madame Ko machte niemals eine Entscheidung rückgängig.
    Eine junge Frau in der Kleidung eines Zöglings kam aus der Gasse, einen kleinen Aktenkoffer in der Hand.
    »Madame«, sagte sie mit einer Verneigung, »da ist ein Anruf für Sie auf dem Satellitentelefon.«
    Madame Ko nahm den Hörer und lauschte einen Moment konzentriert. »Eine Nachricht von Artemis Fowl«, sagte sie schließlich.
    Juliet hätte sich zu gerne aus ihrer Verbeugung aufgerichtet, doch das wäre ein unverzeihlicher Verstoß gegen das Protokoll gewesen. »Ja, Madame?«
    »Die Nachricht lautet: Domovoi braucht dich.«
    Juliet runzelte die Stirn. »Sie meinen, Butler braucht mich.«
    »Nein«, erwiderte Madame Ko, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich sagte, Domovoi braucht dich. Ich wiederhole nur, was man mir aufgetragen hat.«
    Schlagartig spürte Juliet, wie die Sonne auf ihrem Nacken brannte, sie hörte die Mücken in ihren Ohren sirren wie Zahnarztbohrer, und sie wollte nur noch eines: sich aus dieser Verbeugung aufrichten und zum Flughafen rennen. Butler hätte Artemis niemals seinen Namen verraten, wenn er nicht... Nein, sie konnte es nicht glauben. Sie konnte nicht einmal daran denken.
    Madame Ko klopfte sich gedankenverloren ans Kinn. »Du bist noch nicht bereit. Ich sollte dich nicht gehen lassen. Du lässt dich zu sehr von deinen Gefühlen lenken, um eine gute Leibwächterin zu sein.«
    »Bitte, Madame«, flehte Juliet.
    Ihre Sensei überlegte zwei endlose Minuten lang. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Geh.«
    Juliet war verschwunden, noch bevor das Wort auf dem Platz verhallt war, und Gott stehe dem Teppichhändler bei, der es wagte, sich ihr in den Weg zu stellen.

Kapitel 5
     
    Der Eisenmann und der Affe
     
     
    Spiro Needle, Chicago, Illinois, USA
     
    Jon Spiro nahm die Concorde von Heathrow zum O'Hare-Flughafen Chicago. Von dort kutschierte ihn eine Luxuslimousine zur Spiro Needle, einer gewaltigen Nadel aus Stahl und Glas, die sich sechsundachtzig Stockwerke hoch über die Skyline von Chicago erhob. Den fünfzigsten bis fünfundachtzigsten Stock belegte die Firma Spiro Industries. Im sechsundachtzigsten Stock befand sich Spiros Privatresidenz, zu der man nur über einen Spezialaufzug oder den Hubschrauberlandeplatz gelangte.
    Jon Spiro hatte während der gesamten Reise nicht geschlafen, so

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