Der Geheimcode
einer schwungvollen Bewegung in einen Teppichstand schleuderte. In Fachkreisen wurde dieser Wurf Slingshot genannt, wie einer der Goldverkäufer wusste - eine Technik, die durch den amerikanischen Ringer Papa Hog berühmt geworden war. Die Händler lachten so sehr, dass einige von ihnen schließlich völlig dehydriert zu Boden sanken. Es war der komischste Zwischenfall des Jahres, und die Aufzeichnung sollte sogar einen Preis bei der tunesischen Ausgabe von Versteckte Kamera gewinnen. Keine drei Wochen später zog Ahmed nach Ägypten.
Doch zurück zu Juliet. Die angehende Leibwächterin sprintete an den Häuserzeilen entlang, schlug Haken um verdutzte Händler und bog in einer scharfen Kurve nach rechts ab. Madame Ko konnte nicht weit gekommen sein, sagte sich Juliet. Sie war immer noch in der Lage, ihre Aufgabe zu meistern. Sie war wütend auf sich. Das war genau die Art von Trick, vor der ihr Bruder sie gewarnt hatte. Nimm dich vor Madame Ko in Acht, hatte Butler ihr geraten. Man kann nie wissen, was sie sich für eine Feldübung so alles ausdenkt. Angeblich hat sie in Kalkutta einmal eine Elefantenherde in Panik versetzt, nur um einen ihrer Zöglinge zu verwirren.
Das Dumme dabei war, dass man sich nie sicher sein konnte. Vielleicht war der Teppichhändler von Madame Ko bezahlt worden, vielleicht war er aber auch nur ein harmloser Mitbürger, der sich dummerweise die falsche Passantin geschnappt hatte.
Die Gasse verengte sich, so dass der Menschenstrom auf ein schmales Rinnsal zusammenschrumpfte. Auf Kopfhöhe zogen sich Wäscheleinen über die Straße, an denen feucht dampfende gutras und abayas hingen. Juliet duckte sich unter der Kleidung hindurch und schlängelte sich an trödelnden Käufern vorbei. Truthähne hüpften erschrocken beiseite, so weit die Stricke um ihren Hals es zuließen.
Plötzlich öffnete sich vor ihr ein schattiger Platz, umgeben von dreistöckigen Gebäuden. Auf den Balkons lagen Männer und zogen an aromatisierten Wasserpfeifen. Der Boden war mit einem kostbaren, lückenhaften Mosaik ausgelegt, das eine römische Badeszene zeigte. Und in der Mitte des Platzes lag Madame Ko, die Knie an die Brust gezogen. Sie wurde von drei Männern angegriffen. Dies waren keine einheimischen Händler. Alle drei trugen die schwarze Uniform einer Spezialeinheit und schlugen mit der Sicherheit und Gezieltheit ausgebildeter Profis zu. Das war kein Test. Diese Männer versuchten tatsächlich, ihre Sensei zu töten.
Juliet war unbewaffnet, wie es die Regel vorschrieb. Waffen in ein afrikanisches Land zu schmuggeln hätte zudem automatisch eine lebenslängliche Gefängnisstrafe bedeutet. Zum Glück sah es so aus, als hätten auch ihre Gegner keine Waffen, obwohl sie wussten, wie sie ihre Hände und Füße einsetzen mussten.
Hier half nur noch Improvisation. Ein direkter Angriff wäre vollkommen sinnlos. Wenn die drei es geschafft hatten, Madame Ko auszuschalten, würde auch Juliet in einem normalen Kampf keine Chance gegen sie haben. Es war an der Zeit, etwas Unorthodoxes auszuprobieren.
Noch im Laufen sprang Juliet hoch und schnappte sich eine der Wäscheleinen. Der Befestigungsring widerstand einen Moment, sprang dann jedoch aus dem trockenen Putz. Sie lief nach links, so weit, wie die Leine mitsamt ihrer Ladung aus Teppichen und Kopftüchern es zuließ, und schoss dann auf die Männer zu. »He, Jungs!«, rief sie, nicht aus Übermut, sondern weil das, was sie vorhatte, frontal am besten funktionieren würde.
Genau in dem Moment, als die Männer aufsahen, klatschte ihnen eine Ladung nasses Kamelhaar ins Gesicht. Die schweren Teppiche und Kleidungsstücke schlangen sich um ihre zappelnden, rudernden Glieder, und die Kunststoffleine drückte ihnen die Luft ab. In weniger als einer Sekunde lagen alle drei am Boden. Und damit sie auch unten blieben, drückte Juliet ihnen mit gezielten Schlägen die Nervenstränge am Halsansatz ab.
»Madame Ko«, rief sie und suchte inmitten des Stoffbergs nach ihrer Sensei. Die alte Frau lag zitternd da, in ihrem olivgrünen Kleid, ein schlichtes Kopftuch über dem Gesicht.
Juliet half ihr auf. »Haben Sie das gesehen, Madame? Wie ich diese Schwachköpfe buchstäblich aus den Schuhen gehauen habe? Ich wette, so was haben die noch nie erlebt. Improvisation - hilft immer, sagt Butler. Wissen Sie, ich glaube, mein Lidschatten hat sie abgelenkt. Glimmergrün. Hat noch nie versagt...«
Juliets Wortschwall brach ab, weil sie ein Messer an ihrer Kehle spürte. Das Messer lag
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