Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
wirklich schon gehen?… Und sehen wir uns denn noch einmal, Tamar?«
»Sicher! Jerusalem ist auch nur ein Dorf!«, rief sie ihm völlig widersinnig zu, während sie schon mit gerafften Gewändern die Stufen hinuntereilte und innerhalb weniger Augenblicke im Strom der Pilger eintauchte wie ein Fisch in einem großen wogenden Schwarm.
Verblüfft blickte er ihr nach und versuchte, sie im Auge zu behalten. Doch als ihm einfiel, dass er noch nicht einmal wusste, wie der Name ihres Wohltäters lautete und wo dieser sein Geschäft hatte, und er ihr nachlaufen wollte, da war es dafür schon längst zu spät. Die Menschenmenge hatte sie verschluckt.
3
Drei bauchige Brennöfen standen im ummauerten Hof der florierenden Töpferei, die Heseds Vater seinem erstgeborenen Sohn eingerichtet hatte. Hesed verstand sein Geschäft. Er konnte sich eines großen und treuen Kundenstamms rühmen, da er scharf auf die gute Qualität seiner Ware achtete und sie zu einem ebenso guten Preis anbot.
Jona war von ihm zur Arbeit an den Brennöfen eingeteilt worden, deren Aufsicht dem bulligen Vorarbeiter Jetro unterstand. Der Mann hatte einen rauen Ton am Leib und ließ einem keinen Fehler durchgehen. Denn eine zu hohe oder zu schwache Hitze führte zwangsläufig zu einer minderen Qualität der darin gebrannten Tongefäße, im schlimmsten Falle sogar zum völligen Verlust einer ganzen Brennung. Aber Jetro war dennoch kein Sklaventreiber. Wenn man nicht herumtrödelte und gewissenhaft tat, was einem aufgetragen wurde, und sich nicht gerade wie ein Hohlkopf anstellte, konnte man gut mit ihm auskommen. Seine derben Sprüche und sein Lamentieren, dass sie ihren Herrn eines Tages mit ihrer angeblichen Nachlässigkeit noch mal in den Ruin treiben würden, verloren dann ihre Bedrohlichkeit und bekamen einen eher unterhaltsamen Charakter, der den Männern in der Eintönigkeit und Schwere der Arbeit ganz willkommen war.
Schweißüberströmt und mit einer schweren Lederschürze um sein Gewand geschnürt, das ihn vor Funkenflug schützen sollte, stand Jona vor einem der Brennöfen und warf Holz in die Glut, die ihm wie der Atem der Hölle entgegenschlug.
»Nur zu! Nur zu! Das genügt noch lange nicht!«, rief Jetro ihm zu, obwohl er genau wusste, dass Jona mittlerweile selbst einzuschätzen vermochte, wie viel Holz noch nachzulegen war. »Das soll kein harmloses Feuerchen werden, auf dem ein Weib sich ein Linsengericht kocht, du Fischerjunge! Der Ofenteufel, den du da fütterst, ist gefräßig! Also nur zu, gib ihm ordentlich zu fressen, bis er lodert!«
Die anderen Männer grinsten zu ihm herüber. »Fischerjunge« war der Spitzname, den Jetro ihm schon am ersten Tag verpasst hatte, als er erfuhr, dass er vorher bei Fischern vom See Genezareth gearbeitet hatte. Aber wenn er bedachte, welche Spottnamen Jetro den anderen Arbeitern gegeben hatte, gab es keinen Grund, sich zu beklagen. Lieber ließ er sich »Fischerjunge« nennen als »Holzkopf«, »lahmer Ziegenbock« oder gar »Scherbenkönig« wie der junge Aaron, der gleich am ersten Tag seiner Arbeit in der Töpferei ein ganzes Gestell mit zum Auskühlen aufgestellten Krügen umgeworfen hatte. Zwar lag das nun schon vier Jahre zurück und seitdem war Aaron nichts mehr zu Bruch gegangen. Aber der Name war dennoch wie Pech an ihm kleben geblieben.
Jona schloss die Feuerluke, nachdem Jetro einen schnellen, fachmännischen Blick in den Ofen geworfen und ihm mit einem grimmigen Grunzen zu verstehen gegeben hatte, dass er zufrieden war und genau die richtige Menge Holz auf dem breiten Bett der Glut lag. Dann griff Jona sich einen der klobigen Schubkarren, um sich hinüber ins Holzlager zu begeben, Scheite aufzuladen und in greifbarer Nähe der Brennöfen einen neuen Stapel Brennholz aufzuschichten.
Auf dem Weg zum Holzschuppen warf er einen Blick zum Himmel hoch. Von den Regenwolken, die am Morgen über Jerusalem hinweggezogen waren und mehrere kurze Schauer gebracht hatten, war nichts mehr zu sehen. Ein kräftiger Südostwind, der aus den Wüstengebieten die Ahnung der nicht mehr fernen Sommerhitze mit sich brachte, hatte sie vertrieben.
Jona wollte lieber nicht daran denken, welche Mühsal ihm an den Brennöfen bevorstand, wenn die Sonne erst wieder mit unbarmherziger Kraft vom Himmel stach. Er hatte doch schon jetzt das Gefühl, dass ihn die Hitze der Öfen bei lebendigem Leib röstete.
Nein, lieber dachte er an Tamar. Obwohl ihn auch diese Gedanken eher mit Traurigkeit als mit Freude erfüllten.
Weitere Kostenlose Bücher