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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Seit er ihr im Tempelbezirk begegnet war und mit ihr auf den Treppenstufen gesessen hatte, waren Wochen verstrichen. Wochen, in denen er fast jede Minute seiner freien Zeit dazu verwandt hatte, in Jerusalem nach ihr zu suchen. Er hatte sich auf den Märkten nahe der Oberstadt herumgetrieben, war dort durch die Gassen und Straßen gelaufen und war sogar mehrfach zum Tempel hinaufgestiegen. Immer von der Hoffnung beseelt, plötzlich irgendwo auf sie zu stoßen. Doch vergeblich.
    Wie oft hatte er sich in diesen Wochen einen Narren gescholten, weil ihm damals die Geistesgegenwart gefehlt hatte, sie nach dem ganzen Namen ihres Wohltäters zu fragen! Wenn er ihr doch wenigstens angeboten hätte, sie auf dem Heimweg zu begleiten. Dann hätte er gewusst, wo sie wohnte. So aber hatte er nur den Namen Elia und damit ließ sich nichts anfangen. Elia war ein Allerweltsname wie Jesus oder Judas, den hunderte in der Stadt trugen. Und sich in den Vierteln der Getreide- und Olivenhändler herumzutreiben, dort von Geschäft zu Geschäft zu gehen und nach einem Kaufmann namens Elia zu fragen, hatte er sich nicht gewagt. Nicht nur, weil es von Händlern dieses Namens zweifellos dutzende gab, sondern weil er sich mit solch einer Herumfragerei sicherlich verdächtig gemacht und sich dadurch möglicherweise großen Ärger eingehandelt hätte.
    Von wegen Jerusalem sei auch nur ein Dorf! Die Mauern dieser Stadt umschlossen dutzende von Dörfern! Wie sollte er Tamar da je wiederfinden?
    Der Gedanke, womöglich Jahre in Jerusalem zu verbringen und ihr dennoch nicht wieder zu begegnen, war jedes Mal wie ein schmerzhafter Stich. Er hatte versucht, sich damit abzufinden, doch es war ihm nicht gelungen. Der brennende Wunsch, sie wiederzusehen, ließ sich nicht aus seinem Herzen vertreiben. Es war eine völlig andere Art von Sehnsucht als die nach einem Wiedersehen mit Timon, an den er auch häufig denken musste. Tamar hatte etwas in ihm berührt, was ihm einfach keine Ruhe ließ. Und es stimmte ihn traurig, dass sie offensichtlich nicht dasselbe Bedürfnis nach einem Wiedersehen verspürte. Denn sie wusste ja, wo er arbeitete, und hätte es unter dem Vorwand, einen Blick auf die Tonwaren von Heseds Geschäfts werfen zu wollen, leicht einrichten können, sich ihm zu zeigen und ihm eine verborgene Nachricht zukommen zu lassen. Aber nichts dergleichen war geschehen.
    Da tröstete es ihn auch nicht, dass er es mit seinem Herrn und den anderen Arbeitern gut getroffen hatte. Längst war er aus der Herberge Zum goldenen Krug ausgezogen und schlief nun zusammen mit Aaron in einer schmalen, aber sauberen Kammer, die sich in einem kleinen Anbau hinter dem Geschäft befand. Und mit Aaron verstand er sich gut und manchmal unternahmen sie auch etwas gemeinsam. Aber zu einem Freund wie Timon würde er ihm nie werden.
    Manchmal bedrückte ihn ein Gefühl des Verlorenseins, obwohl er dazu eigentlich gar keinen Grund hatte, ging es ihm doch gut wie nie zuvor. Er hatte ein trockenes Nachtlager, eine sichere Arbeitsstelle, ausreichend zu essen und konnte sogar einiges von seinem Lohn sparen. Und dafür war er auch dankbar. Aber zum ersten Mal in seinem Leben nagte an ihm die Erkenntnis, dass es noch ganz andere Bedürfnisse gab als essen, trinken, schlafen und einer geregelten Arbeit nachgehen. Tiefer gehende Bedürfnisse, die sich nicht mit Brot und einem Krug Wein stillen ließen.
    Bedrückt von seinen Gedanken, lud er Holz im Lager auf, als Jetro im Hof nach ihm rief. »Fischerjunge!«, brüllte er ungeduldig. »Hast du dich vielleicht aufs Ohr gelegt? Weißt du nicht, dass die Nacht zum Schlafen da ist und nicht die Zeit, für die unser Herr dir den Beutel mit Denaren füllt?«
    »Noch fliegt das Holz nicht von selbst auf die Karre, Jetro!«, wagte Jona eine spöttische Erwiderung, wusste er doch, dass der Vorarbeiter Gefallen daran fand, wenn man ihm nicht zu untertänig begegnete und ihm gegenüber auch seinen Mann stand - immer vorausgesetzt, man überschritt nicht die Grenze des Erlaubten und wurde respektlos. Schnell packte er die Griffe der Schubkarre und eilte damit in den Hof hinaus.
    Jetro winkte ihn heran. »Lass die Karre stehen. Da ist jemand, der dich sprechen will!«, teilte er ihm mit. »Drüben am Tor!«
    »Für mich?« Jona blickte rasch zum Tor hinüber, das auf eine der hinteren Gassen führte. Einen Augenblick lang hoffte er, dort Tamar stehen zu sehen. Aber dann sah er den dunkelhäutigen Mann und seine Hoffnung fiel wie ein Strohfeuer in

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