Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
darauf vor einem kleineren, aber nichtsdestotrotz immer noch beeindruckenden Tor. Es stand offen und zwei Diener erwarteten sie.
»Ihr könnt gehen!«, sagte der Fremde zu den beiden Wachen, als Jona auf der anderen Seite der Mauer bei den Dienern stand, warf jedem ein Geldstück zu und bedeutete einem der Diener, das Tor hinter ihm zu schließen.
Der Fremde kannte sich offenbar gut auf dem Gelände aus, wartete er doch nicht ab, dass die Bediensteten vorausgingen. Er bedeutete Jona mit einem wortlosen Wink, ihm zu folgen, und ging durch die Gartenanlagen auf das Haus zu, das in Jonas Augen eher die Bezeichnung »Palast« verdiente.
Durch eine der Hintertüren führte er ihn ins Haus, einen mit kostbaren Teppichen ausgelegten und mit aus Silber gehämmerten Wandleuchten versehenen langen Gang hinunter, von dem mehrere Türen abgingen, und dann in einen kleinen Raum, dessen Einrichtung bis auf einige bequeme Sitzpolster und kostbare Wandbehänge äußerst karg gehalten war.
»Du wartest hier!«, sagte er schroff zu Jona und verschwand durch eine hohe, mit Schnitzereien geschmückte Tür in den angrenzenden Raum. Wenn der Fremde hinter der Tür mit jemandem sprach, dann wohl nur sehr leise, denn Stimmen drangen nicht zu Jona in das Nebenzimmer.
Es verstrichen lange Minuten, in denen Jona sich mit wachsender Unruhe den Kopf darüber zermarterte, zu wem man ihn wohl geführt und was sein erzwungenes Erscheinen in diesem Haus bloß zu bedeuten hatte.
Er hatte nicht gewagt, sich zu setzen, schreckte aber dennoch zusammen, als die Tür wieder aufging und der Fremde ihn mit einer knappen Handbewegung zu sich befahl. Dann wandte er sich der Person zu, die Jona wegen des offen stehenden Flügels der Tür noch nicht sah, und sagte in einem sehr viel angenehmeren Ton, als er ihn gegenüber Jona angeschlagen hatte: »Das ist er. Wie gesagt, sein Name ist Jona ben Joram.«
»Gut, das ist erst einmal alles. Wir reden später, Meschillemot«, antwortete ihm eine wohlklingende Stimme aus der Tiefe des Raumes.
Der Fremde, dessen Namen Jona zum ersten Mal hörte, versetzte ihm im Vorbeigehen einen derben Stoß in den Rücken, sodass er zwei Schritte nach vorn in das große Zimmer taumelte, und zischte ihm zu: »Lass es bloß nicht an der nötigen Ehrerbietung fehlen! Es würde dich bitterlich reuen!« Dann verschwand er durch die Tür und zog sie hinter sich zu.
Jona hatte keine Zeit, sich im Raum umzusehen. Sein Blick wurde sofort von dem großen Schreibtisch gefangen genommen, dessen ebenholzdunkle Platte rechts und links auf zwei Gestellen aus gekreuzten bronzenen Stäben ruhte. Dahinter saß in einem hochlehnigen Richterstuhl mit Armlehnen und kostbarem Schnitzwerk an den Außenrändern ein schlanker, fast hager wirkender und groß gewachsener Mann mit silbergrauem Haar und aristokratischen Gesichtszügen. Rechts und links von ihm stand je ein großes, fein gearbeitetes Kohlenbecken, dessen dicke Glutschicht den Raum mit einer wohligen Wärme erfüllte. Er trug ein milchweißes Gewand ohne jede Verzierungen bis auf die rituellen Quasten an den Saumecken, doch man sah sofort, dass es aus dem feinsten fließenden Tuch gearbeitet war.
»Weißt du, wer ich bin?«, fragte der Grauhaarige.
»Nein, Herr«, antwortete Jona beklommen und in unterwürfiger Haltung.
»Ich bin der Hohepriester Kaiphas.« Er sagte es mit dem ruhigen, fast beiläufigen Tonfall eines Mannes, der wusste, dass er nirgendwo in diesem Land die Stimme heben musste, um sich der ungeteilten Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sicher zu sein. Jeder schwieg, wenn er zu sprechen ansetzte. Und deshalb hätte auch ein Blitz Jona nicht heftiger erschüttern können, als er den Namen Kaiphas hörte.
7
»Tritt näher, Jona!«, forderte ihn Kaiphas auf. »Ich habe gehört, du hast mir Dinge zu erzählen, die für mich von großem Interesse sind!«
Jona folgte der Aufforderung mit zittrigen Knien. Er lebte nun schon lange genug in Jerusalem, um nicht nur zu wissen, wer Kaiphas war, sondern auch, welche Rolle der Hohepriester im Ränkespiel der Macht spielte. Elia hatte ihn einmal mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung einen »genialen Strippenzieher« genannt, der hinter den Kulissen an den entscheidenden Fäden zog und die feine Nase eines politischen Raubtiers besaß.
Kaiphas gehörte zur Partei der Sadduzäer unter den Priestern und Schriftgelehrten, die weder an die Auferstehung nach dem Tod noch an die Existenz von Engeln glaubten und die sich auf das
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