Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Beste mit den römischen Statthaltern des Kaisers arrangiert hatten. Ihnen ging es vorrangig um ihren Machterhalt. Diese jüdische Führungsschicht, die auch den Hohen Rat, den Sanhedrin, kontrollierte, war stets auf ein gutes Einvernehmen mit der römischen Besatzungsmacht bedacht. Als Gegenleistung für diese politische Unterwürfigkeit hatte Rom den Juden eine Reihe von außerordentlichen Privilegien zugestanden wie keinem Volk seines Herrschaftsgebietes. So waren Juden etwa vom Heeresdienst befreit, durften nach ihrem jüdischen Gesetz und Ritus leben und auch den Sabbat heiligen, indem sie an diesem Tag jegliche Arbeit ruhen ließen. Ein Recht auf einen freien Tag für Freie und Sklaven gleichermaßen, das es nirgendwo sonst im Imperium, ja im Rest der Welt gab. Aber dafür hatten die Hohenpriester auch einen beträchtlichen Preis zu zahlen, der unter anderem darin bestand, dass sie sogar im Tempel für den heidnischen Kaiser in Rom beteten und in seinem Namen Opfer darbrachten.
Kaiphas galt unter diesen führenden Männern aus der Partei der Sadduzäer als der scharfsinnigste und machtbewussteste. Man sagte ihm nach, eine gefährliche Entwicklung schon zu erspüren, wenn alle anderen noch nicht einmal den schwachen Schimmer einer Ahnung davon besaßen. Er war unter dem unmittelbaren Vorgänger von Pontius Pilatus, dem Prokurator Valeris Gratus, als Hoherpriester eingesetzt worden 56 . Nach seiner Amtszeit hatte er mit seinem Einfluss dafür gesorgt, dass Hannas, einer der Söhne seines Schwiegervaters, der selbst einmal das hohe Amt bekleidet hatte, ihm als Hoherpriester nachfolgte. Aber wenn Hannas jetzt auch an der Spitze der Priesterschaft stand, so war es doch stadtbekannt, dass Kaiphas weiterhin im Hintergrund die Fäden der Macht in seinen Händen hielt.
Und dieser Mann hatte nun ihn, Jona, zu sich bringen lassen! Eine unbestimmte Angst wallte in ihm auf und drohte ihm die Kehle zuzuschnüren, als er nun stammelte: »Herr, ich … ich weiß von keinen Dingen, die... die ein einfacher Mann wie ich... dir erzählen könnte, Hoherpriester!«
»Dieses Urteil überlasse getrost mir«, erwiderte Kaiphas. »Beginnen wir mit dir.« Er blickte kurz auf mehrere Papiere, die vor ihm auf der großen Platte zusammen mit einer Fülle von anderen Papyrusrollen lagen. »Du bist deinem einstigen Herrn, dem Gutsbesitzer Berechja, vorletztes Jahr davongelaufen und hast bei deinem Eintreffen in Jerusalem im letzten Jahr eine Zeit lang bei dem Töpfer Hesed ben Elad gearbeitet, bis dich der Kaufmann Elia ben Eljasaf in seine Dienste genommen hat. Ist das richtig?«
Jona brach der kalte Schweiß aus. »Ja, Hoherpriester. Aber was meinen Herrn Berechja und die Anschuldigung betrifft...«, setzte er zu einer Verteidigung an.
Kaiphas hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. »Es geht hier nicht darum, dass du ihm davongelaufen bist und ob es wirklich seine Absicht war, euch in Tyrus auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen«, stellte er klar. »Der Streit zwischen diesem Berechja und dir interessiert mich nicht. Und ich erwarte von dir, dass du mir aufrichtig Auskunft gibst!«
»Das werde ich, Hoherpriester!«, beteuerte Jona, dem der Schweiß auf der Stirn perlte. Er wagte jedoch nicht, sich die kalte Feuchtigkeit mit dem Ärmel abzuwischen.
Kaiphas schob ein Papyrus zur Seite und sagte dann: »Man hat mir berichtet, dass du in Galiläa gewesen und dort dem Nazoräer Jesus begegnet bist. Entspricht das der Wahrheit?«
Jona nickte. »Ja, Hoherpriester.«
»Auch dass du einen guten Freund hast, der zum engen Kreis seiner Anhängerschaft gehört?«
Jona schluckte heftig, wusste er doch, dass sich eine Lüge auf diese Frage verbot, weil der Mann namens Meschillemot ihn in der Gefängniszelle davon reden gehört und es dem Hohenpriester offensichtlich schon zugetragen hatte. »Auch das entspricht der Wahrheit, Hoherpriester. Obwohl ich das mit dem ›guten Freund‹ vor den anderen Gefangenen wohl ein wenig übertrieben habe«, antwortete er, um sich wenigstens eine kleine Hintertür offen zu lassen, durch die er Timon hoffentlich vor Unheil bewahren konnte.
»Und wer ist dieser Mann?«
Ein neuer Schweißausbruch überkam Jona. »Er nennt sich David«, sagte er. Das war ein Allerweltsname, denn er wollte versuchen, in seinen Aussagen vage zu bleiben, ohne die Wahrheit jedoch allzu arg zu verdrehen. Er wollte Timon so weit wie möglich aus dieser Sache heraushalten, das war er seinem Freund schuldig. »Wer er genau ist und
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