Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Stolz fortzufahren: »Und er muss ein guter Fischer geworden sein! Denn im letzten Frühjahr ist er sogar in eine Gemeinschaft von Fischern aufgenommen worden, die mit einem großen Boot auf den See hinausfahren und mit einem riesigen Schleppnetz arbeiten, für das man viele kräftige Arme zum Einziehen braucht. Ich verstehe ja nichts von diesen Dingen, aber er muss sich sehr schnell die Achtung der einheimischen Fischer erworben haben, um von so einer Gemeinschaft aufgenommen zu werden.«
»Darauf kann er wirklich stolz sein - und du auch, Tante Adah«, sagte Timon.
»Ja, das bin ich auch!« Adah strahlte ihn an. »So, und jetzt ruht euch aus. Ich muss Tobija von eurem Kommen unterrichten.« Sie wandte sich an Jona, um erklärend hinzuzufügen: »Das ist mein erstgeborener Sohn. Ja, und dann hole ich meine Tochter Milka, damit sie mir bei der Arbeit zur Hand geht. Denn heute wird es zu Ehren meines lieben Neffen und seines Freundes in unserem Haus ein Festessen geben!« Und damit eilte sie davon.
Timon atmete tief durch. »Jetzt wird sie ihre Speisekammer plündern und notfalls von Nachbarn noch etwas borgen, um uns Speisen vorzusetzen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten kann. Aber wehe, du sagst nur ein Wort, dass wir auch mit viel weniger zufrieden wären!«
»Ja, wie ganz anders sähe doch die Welt aus, bestünde sie nur aus so großherzigen Menschen wie deiner Tante Adah«, sagte Jona und gönnte sich aus dem Krug noch einen halben Becher Saft.
Nachdenklich blickte Timon die breite, staubige Gasse hinunter. »Ich habe wohl den Mund zu voll genommen, als ich davon sprach, dass wir hier im Haus meiner Verwandten Unterschlupf und Arbeit finden können. So wie die Dinge liegen, haben meine Tante und ihre Kinder gerade mal ihr bescheidenes Auskommen. Da ist kein Platz für zwei weitere hungrige Mäuler, auch wenn Adah Stein und Bein darauf schwören würde, dass dem nicht so ist und wir so lange bei ihnen bleiben können, wie wir wollen.«
Jona nickte. »Ja, so klang es mir auch.«
»Ich glaube, wir tun gut daran, die Gastfreundschaft meiner Tante nicht allzu lange auszunutzen«, schlug Timon vor. »Ein paar Tage müssen wir schon bleiben, sonst würde ich sie vor ihrer Familie und den anderen Dorfbewohnern beleidigen und ihr großen Kummer bereiten. Aber dann sollten wir weiterziehen.«
»Und wohin?«, fragte Jona, obwohl er die Antwort seines Freundes schon zu kennen glaubte.
»Zu Jakob nach Kapernaum!«
2
Das milde Licht des späten Nachmittags verlieh den weiß gekalkten Häusern von Kapernaum einen sanften, rotgoldenen Schimmer, als Timon und Jona durch die Gassen der kleinen Hafen- und Garnisonsstadt gingen, die am Nordwestufer des Sees Genezareth an der Grenze zum Herrschaftsgebiet des Herodes Philippus 33 lag. Sie waren müde vom langen Marsch, doch zufrieden, noch eine gute Weile vor Einbruch der Dunkelheit ihr Ziel erreicht zu haben. Eine Stadtmauer besaß Kapernaum nicht, dafür war es weder groß noch bedeutend genug, aber es hatte doch immerhin über zweitausend Einwohner, wie sie erfahren hatten. Und es hieß, dass es sich in diesem Ort recht annehmlich leben ließ, auch wenn man ihn mit den römischen Soldaten und einer nicht geringen Anzahl von Heiden teilen musste, die hier Handel und einige Werkstätten betrieben.
Ihr Weg in die Mitte des Ortes führte sie an ineinander verschachtelten Häusern vorbei, die man auch »Wohninseln« nannte, weil sich innerhalb einer gemauerten Umgrenzung eine ganze Reihe von verschieden großen würfelförmigen Häusern drängte, die durch Treppen und Durchgänge miteinander verbunden waren und oft die Familien einer ganzen Sippe beherbergten. Meist führten nicht mehr als zwei Eingänge, manchmal sogar nur ein einziges Tor in das Innere eines solchen umschlossenen Gebäudekomplexes.
»Und wie finden wir jetzt deinen Verwandten Jakob in diesem Häuserlabyrinth?«, fragte Jona, als sie den Marktplatz erreichten, auf dem noch reger Betrieb an den Verkaufsständen und in den umliegenden Läden herrschte. Händler mit bunt bepackten Lasteseln und Kamelen kreuzten ihren Weg.
»Von Haus zu Haus zu gehen macht natürlich wenig Sinn«, erwiderte Timon. »Aber wo kann man in einem Fischerdorf am schnellsten erfahren, wo ein einheimischer Fischer wohnt?«
Jona grinste. »Ich denke mal, unten am Hafen, wo die Boote liegen!«
»Schlaues Bürschen!«, spottete Timon gutmütig. »Also auf zum Ufer des galiläischen Meeres, denn so nennen wir Galiläer den See
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