Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
sich auf.
»Ja, wir kennen uns, Tante Adah«, antwortete Timon. »Auch wenn ich noch ein kleiner Junge war, als mein Vater nach dem Tod meiner Mutter mit mir aus diesem Land geflohen ist, um fern von hier sein Seelenheil zu finden.«
Es war, als hätte ein Blitz das Gesicht der Frau von einer Sekunde auf die andere erhellt. Erst trat ein ungläubiger Ausdruck in ihre Augen, dann wurden sie von einem freudigen Strahlen erfüllt. »Thaddäus?«, stieß sie fassungslos hervor. »Bist du es wirklich, mein Junge?«
Timon lachte sie an. »Ja, der bin ich, auch wenn ich seit vielen Jahren auf den Namen Timon höre, den mein Vater und die Männer von Qumran lieber hatten als Thaddäus.«
»Mein Neffe!… Mein geliebter Neffe ist zu uns zurückgekehrt!« Es brach förmlich aus ihr heraus und im nächsten Moment fiel sie ihm um den Hals und drückte ihn, mit Tränen der Freude in den Augen, an sich.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich gefasst hatte und Timon dazu kam, ihr seinen Freund Jona vorzustellen. »Aber Jona ben Joram ist mehr als nur ein Freund«, fügte er noch hinzu. »Für ihn würde ich jederzeit meine rechte Hand hergeben!«
Jona machte ein ebenso verlegenes wie gerührtes Gesicht. »Das Gleiche gilt auch umgekehrt, Timon«, murmelte er.
»Dann sei auch du mir und meiner Familie herzlich willkommen, Jona ben Joram!«, begrüßte ihn Adah und schloss auch ihn in ihre kräftigen Arme. Dann sagte sie mit einem schweren Seufzer: »Ach, wenn das dein Onkel doch noch hätte erleben können!«
Timon machte ein betroffenes Gesicht. »Onkel Hezro lebt nicht mehr?«
Adah schüttelte traurig den Kopf. »Ihn hat vor fünf Jahren bei der Feldarbeit der Schlag getroffen«, teilte sie ihm mit. Doch der Schatten des Kummers wich gleich wieder von ihrem Gesicht. »Aber dies ist nicht der Augenblick, um schwermütig zu werden und von traurigen Dingen zu reden, Thaddäus. Ihr seht aus, als hättet ihr einen langen Weg hinter euch. Setzt euch dort auf die Bank. Der Schatten wird euch gut tun und ich bringe euch auch gleich etwas zu trinken. Und dann hole ich eine Kanne Wasser und wasche euch die Füße, so wie es sich gehört, wenn lieber Besuch von einer langen Reise eintrifft! Nein, keine Widerrede! Du hast doch wohl nicht vergessen, deine Tante und das Alter zu ehren, oder?«
»Ach, Adah, wer könnte dir denn auch widersprechen«, sagte Timon mit einem ergebenen Lächeln und setzte sich fügsam auf die Holzbank, die an der Hauswand gleich neben der Tür aus geflochtenen Zweigen stand.
Adah eilte ins Haus und kehrte wenig später mit zwei Steingutbechern und einem Krug herrlich kühlen Granatapfelsaftes zurück, den sie in einem tiefen Erdloch vor der Sommerhitze bewahrte. Dann holte sie eine große Kanne Wasser, band ihnen die Sandalen auf und kniete sich vor ihnen in den Sand, um ihnen die völlig verdreckten Füße zu waschen und zum Schluss mit einem sauberen Tuch zu trocknen.
Dabei erzählte sie ihnen, wie es ihr und ihrer Familie in den Jahren ergangen war. Es hatte gute und schlechte Zeiten gegeben und dies sei nun mal seit Menschengedenken die Regel für einfache Bauern wie ihresgleichen. Doch sie versicherte, bis auf den viel zu frühen Tod ihres Mannes ihr Schicksal nicht beklagen zu können, da es vielen anderen doch noch bedeutend schlimmer ergangen sei. Wenn sie nur an den Tod ihrer Schwester, Thaddäus’ Mutter, dachte und an all die anderen, die damals beim Widerstand der Dorfbewohner gegen die Zwangsumsiedlung des Herodes mit ihrem Blut bezahlten oder in das sündige Tiberias umziehen mussten.
Sie erzählte ihnen auch, dass Jakob, ihr zweitgeborener Sohn, das Dorf nach einer Missernte vor drei Jahren verlassen hatte und an den See Genezareth gezogen war. »Mit dem Stückchen Land, das er gepachtet hatte, konnte er seine Familie nicht länger ernähren. Und da er keine Schulden auf sich laden wollte und hier für sich und seine Familie keine Zukunft mehr sah, ist er mit Frau und Kindern nach Kapernaum und hat sich dort niedergelassen. Ich hätte mir an seiner Stelle nicht gerade diese Grenzstadt ausgesucht, in der die Römer eine starke Truppenabteilung liegen haben, aber nach allem, was er mir berichtet hat, gibt es in Kapernaum wenigstens Arbeit. Jedenfalls hat er es dort recht gut angetroffen.«
»Und womit verdient sich Jakob seinen Lebensunterhalt?«, fragte Timon interessiert.
»Du wirst es nicht glauben, aber mein Sohn ist Fischer geworden.« Sie schüttelte lachend den Kopf, um dann voller
Weitere Kostenlose Bücher