Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
einem die Augen!«
»Beispielsweise?«
Timon überlegte kurz. »Also, da war dieses Gleichnis mit dem Sämann 7 , das er uns gestern am See erzählt hat«, erinnerte er sich. »Und das ging folgendermaßen: ›Ein Sämann zog hinaus, um zu säen. Da geschah es, dass ein Teil des Saatgutes auf den Weg fiel. Vögel kamen und fraßen es auf. Anderes fiel auf felsigen Boden, wo es kaum Erde gab. Gleich schoss es herauf, weil es keine Tiefe im Erdreich hatte. Als dann die Sonne aufging, verbrannte und verdorrte es in kurzer Zeit, weil es keine tiefen Wurzeln entwickelt hatte. Wieder anderes Saatgut fiel unter die Disteln und die Disteln überwucherten und erstickten es im Keim. Anderes jedoch fiel auf gute Erde und gab Frucht. Es stieg auf und mehrte sich und trug dreißigfach, ja sechzig- und hundertfach.‹ Und dann sagte Jesus noch: ›Wer Ohren hat, die hören können, der höre!‹«
»Mhm«, machte Jona. »Und was wollte er damit sagen?«
»Jesus hat uns das Gleichnis gleich ausgelegt«, antwortete Timon eifrig. »Der Sämann ist er selbst und das Saatgut ist sein Wort, seine Lehre. Diejenigen, die am Weg sind, sind diejenigen, die das Wort hören, aber zulassen, dass der Satan kommt und es ihnen wieder stiehlt. Die auf den Felsgrund Gesäten, das sind die Menschen, die das Wort, sobald sie es hören, zwar zuerst voller Freude ergreifen, dann aber keine Wurzeln entwickeln, weil sie Menschen des Augenblicks sind und sich gleich wieder anderem zuwenden. Wo das Wort unter die Disteln fällt, da trifft es auf Menschen, die überhaupt kein Ohr dafür haben, sondern von den Sorgen und Begierden des materiellen Lebens getrieben sind und das Wort der Offenbarung in sich ersticken. Aber da, wo die Menschen sich dem Wort öffnen, es tief in sich eindringen lassen, es nähren und beständig wachsen lassen, da bringt es reiche Frucht hervor!« Er machte eine kurze Pause und fragte dann mit strahlender Miene: »Na, ist das nicht ein wunderbares Gleichnis, wie es uns Menschen gar nicht besser beschreiben kann?«
Jona schwieg einen Moment. Dann sagte er zögerlich: »Schon, aber jetzt kommt es auf das Wort an und welche Bedeutung es wirklich hat, nicht wahr?«
»Natürlich!«, versicherte Timon. »Aber Jesus belässt es ja nicht allein bei Worten. Er tut auch viele Zeichen und Wunder, ermahnt die Geheilten jedoch fast jedes Mal, in der Öffentlichkeit nicht darüber zu reden. Er will eben nicht, dass man wegen seiner Wunderheilungen an ihn und seine Botschaft glaubt, sondern wegen dem, was er lehrt.«
Sie redeten noch eine ganze Weile über das, was Timon in den vergangenen Wochen erfahren, gehört und gesehen hatte. Und Jona musste im Stillen eingestehen, dass es ein recht aufregendes Leben war und sich von der täglichen Mühsal eines Fischers, die zu seinem Alltag geworden war, so sehr unterschied wie ein strahlender Frühlingsmorgen von einem trüben Herbstnachmittag.
Als sie sich auf den Rückweg zum Haus von Jakob und Mirjam machten, sagte Timon: »Ich habe dir ja von den Jahren erzählt, die ich mit meinem Vater in Qumran verbracht habe.«
Jona nickte nur und wartete, worauf sein Freund hinauswollte.
»Schon damals gab es immer wieder Momente, wo ich das Gefühl hatte, in meinem richtigen... Zuhause angekommen zu sein«, fuhr Timon fort. »Aber das hielt nie lange an. Es war wie...« Er suchte sichtlich nach einem passenden Vergleich und fand ihn auch schon im nächsten Augenblick. »... wie wenn man auf einer Laute spielt, aber noch nicht die richtige Melodie kennt, die man spielen soll, und auch das Instrument noch nicht beherrscht. Und was dann dabei herauskommt, weißt du.«
Jona lachte. »Klar, eine Menge Misstöne.«
»Genau. Aber jetzt habe ich das Gefühl, die richtige Melodie zu hören und diese auch mit immer weniger Missklängen spielen zu können. Ich weiß, dass der Vergleich gehörig hinkt, aber besser kann ich es dir nicht beschreiben, was mich dazu bringt, bei Jesus zu bleiben.«
Jona seufzte. »Du allein musst wissen, was dir wichtig und was richtig für dein Leben ist. Und wenn du meinst, dem Nazoräer folgen zu müssen, musst du es auch tun. Und ich bin der Letzte, der dich davon abzuhalten versuchen würde - sosehr ich dich auch lieber bei mir hätte.«
»Auch ich hätte dich lieber an meiner Seite, Jona.«
Die Frage, ja Bitte, sich ebenfalls Jesus anzuschließen, die in den Worten seines Freundes mitschwang, entging Jona nicht. Doch er tat so, als wäre sie nicht in sein Bewusstsein
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