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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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bin, oder ob ich versuchen müsste, das Recht des freien Willens zu nutzen und für mich allein zu entscheiden. Und wenn ich ein Moslem war, dann warum, und was hieß das, bezüglich der Werte? Ich musste es verstehen, vielleicht sogar selber ordnungsgemäß tun, bis zum Ende. Und wenn ich keiner war, dann war es besser, das zu wissen und etwas anderes zu werden. Amir war überrascht. Wir gingen zum Zelt hinunter, und ich zog aus dem Rucksack einen Band mit Chomeinis Briefen, er blätterte darin und lachte. «Es gibt zu viele Seiten über Sex, anscheinend bin ich einfach geil, vielleicht kommt das von diesen religiösen Gesetzen», spottete er. «Ist es dem Menschen erlaubt, ein Huhn zu essen, nachdem er sexuelle Beziehungen mit ihm hatte? Nein, und auch seiner Familie nicht, aber den Nachbarn zwei Häuser weiter ist es ganz entschieden gestattet. So steht es geschrieben.» Er zog noch ein Buch aus der Tasche und fing an, mit lauter Stimme daraus vorzulesen, tat vollkommen ernst, erging sich im Kommentar eines Imams, der bestimmte: «Wenn ein Mann und eine Frau in einem Stockbett schlafen, und es gibt ein Erdbeben, und der Mann fällt hinunter, und es kommt unabsichtlich ein Säugling dabei heraus, ist der Säugling legal.» Wir konnten beide nicht mehr zu lachen aufhören. So ging es die ganze Nacht. Aber ich bat Amir, meine inneren Konflikte zu respektieren, bis ich die Entscheidungen getroffen hätte. «Du brauchst dich nicht groß aufzuregen», entschuldigte ich mich, «das ist einfach so eine Phase, vielleicht eine Identitätskrise. Was ist schlimm daran, alles ein bisschen zu hinterfragen? Ein ungeprüftes Leben ist nicht lebenswert. Sokrates», deklamierte ich mit einem Lächeln, und Amir war beruhigt. Er war bereit, mir Zeit zu lassen. Es dauerte zwei Monate, bis ich es überstanden hatte. Nur zwei kurze Monate. Und nun, wie seltsam die Wege doch waren, hatten wir, zwei Jahre später, die Seiten getauscht.
    Um uns herum wechselten die Gesichter der Stadt, lärmende Marktansichten und arme Schwerarbeiter, Menschen, die sich in den achtziger Jahren an Chomeinis Versprechen gehängt hatten, an die der Reformisten in den Neunzigern, von Ahmadinedschad im neuen Jahrtausend, Führer um Führer gewählt hatten, immer unter der Prämisse des Versprechens auf Gerechtigkeit. «Mir scheint aber nicht, dass es hier Gerechtigkeit gibt, oder, Amir? Was folgt also daraus?», stichelte ich.
    «Ich bin der Partei beigetreten», sagte er.
    «Was?»
    «Ich bin der Partei beigetreten.»
    «Welcher Partei? Der Wassermelonenpartei des Herrn Ali Samimi?»
    «Der Abadgaran», antwortete er und wappnete sich.
    «Abadgaran? Das Bündnis der Erbauer des Islamischen Irans? Die Partei des verehrten Präsidenten?»
    «Die Partei des Volkes.»
    Mir entfuhr ein kurzes Lachen. «Das kann nicht dein Ernst sein, ich hoffe sehr, dass du mich auf den Arm nimmst.» Ich blickte zum Himmel, in der Hoffnung auf ein Wunder, das mich verstehen ließe, was ich mit dieser lächerlichen Information anfangen sollte.
    «Akzeptiere meine Wahl, es ändert nichts an unserer Freundschaft.»
    «Und wenn du in einem Monat mit geschwellten Muskeln hier antanzt und mir erzählst, dass du dich den Basidschis angeschlossen hast, ändert das auch nichts an unserer Freundschaft? Vielleicht hättest du dann gern, dass wir zusammen auf dem Motorrad in der Stadt herumfahren und mit Stöcken Frauen verprügeln, deren Kopfbedeckung in deinen Augen nicht züchtig genug ist?»
    «Kami», versuchte er mich zu beschwichtigen, «ich will dich nicht verlieren», und fasste mich am Nacken.
    «Das wirst du nicht», versprach ich ihm, doch sicher war ich mir nicht dabei, denn auf der dröhnenden Straße, die wir in einer Rußwolke entlangmarschierten, trennte uns nur ein kleiner Schritt, aber ich sah schon, wie sich Risse auftaten und zu einem gähnenden Abgrund wurden, der die abbröckelnde Erde verschlang, uns keine Chance mehr ließ, die verschiedenen Ufer unserer Leben noch zu überbrücken. Ich wollte ihm die Hand reichen, doch ich war nicht dazu in der Lage. «Ich werde auf dich warten, bis du dich gefunden hast», sagte ich.
    «Komm, wir suchen uns etwas zu essen, das dich an daheim erinnert», rief er plötzlich und übernahm mit einem Mal die Führung, rannte entschlossen über die Kreuzungen der Stadt, die er nicht kannte. Er ließ keine Zeichen von Schwäche oder Zweifel erkennen, er wirkte sogar merkwürdig heiter. Und obwohl ich keinen Appetit hatte, ließ ich mich von

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