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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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interessiert sich für nichts, nur für seine Träume. In meinen Träumen war ich allerdings schrecklich neugierig. Ich liebte es, mit meiner Mutter zusammen zu sein, und ich liebte es, allein zu sein. Wenn sie mich hinausschickten, war ich beunruhigt, was würde passieren, wenn ich zum Beispiel aufs Klo müsste und nicht zurechtkäme, oder wenn ich etwas essen wollte und nichts da wäre, was ich mochte? Und was wäre, wenn sie vergessen würden, mich rechtzeitig zurückzubringen? Oder vielleicht würde ich den Weg nicht finden. Ich bin lieber gar nicht hinausgegangen. In meinem Zimmer schwang ich mich vom Fensterbrett zu Flügen in die Weiten der Galaxis oder der Geschichte auf, löste Probleme, internationale Krisen, wissenschaftliche Versuche, ich hatte viele Ideen, denn das Draußen war schön genug in der Phantasie, ich wollte nicht hinausmüssen. Ich mochte es auch nicht, mich anzuziehen, Kleider und Schuhe waren beengend. Und ich wollte niemanden an meinen Gedanken oder an meinem Schmerz teilhaben lassen, denn ich wollte niemanden verletzen. Ich habe dir ja gesagt, ein schwachköpfiger Junge. Ich liebte unser Haus. Es war ganz weiß. Nur die Dachziegel waren in verblichenem Grün und die Fensterläden aus hellem Holz. Im ersten Stock gab es einen kleinen Balkon auf bogenförmigen Säulen, der mir immer wie die Galerie in einem Königspalast erschien. Im Hinterhof war ein Garten mit Obstbäumen, die sich nie richtig akklimatisierten. Die Granatäpfel waren schal, die Orangen bitter, die gelben Äpfel zu klein, und die Feigen vertilgten die Vögel, noch bevor es uns gelang, sie zu probieren. Am Zwetschgenbaum hingen keine Zwetschgen, sondern er beherbergte ein Vogelnest. Nur die Pecannüsse prasselten immer wie schwerer, salziger Regen ins Gras. Vor der Küche hatten wir einen reichhaltigen Kräuter- und Gemüsegarten angepflanzt, mit Pfeffer und Basilikum, Minze, Rettich, Petersilie und fetten Tomaten. Anfang letzten Jahres habe ich auch Auberginen, Erdbeeren und Kürbis dazugesetzt. In den Beeten auf der Vorderseite blühten Rosen, weißer Jasmin, Dahlien und Geranien, Löwenmäuler und Veilchen. Meine Mutter war ständig damit beschäftigt, die Böden der Küche und des Gästezimmers zu schrubben, und ich warf immer ein bisschen Essen hinunter und aß es dann vom Boden, um zu beweisen, dass es bei uns in der Küche zu sauber war. Als wir uns kennenlernten, Amir Teimuri und ich, waren wir hauptsächlich Telefonfreunde, obwohl er nebenan wohnte. Bis er mir in der achten Klasse erzählte, er habe Reste von einem unidentifizierten Objekt gefunden, allem Anschein nach ein Spionageraumschiff der Amerikaner oder von Außerirdischen, beim Hotel Teheran hinter der Tejarat-Bank, und sagte, er brauche eine zweite Meinung. Ich nahm das Fahrrad meiner Schwester Nasi und fuhr zur Aufprallstelle, um Bruchstücke eines alten Motors einzusammeln. Von da an schloss ich mich nachmittags in meinem Zimmer ein, mit Broschüren, die ich aus der Bücherei geliehen hatte, und versuchte, etwas über Motoren zu lernen – Vergaser, Ventile, Zünder, Kompressor, Auspuff. Alles für Amir. In den Abendstunden fuhren wir immer durch die Stadt, Amir und ich, flogen durch die Viertel, den Hafen, die Lagune, suchten nach verdächtigen Metallteilen. Meiner Mutter gefiel es, man sah es ihr an, endlich bestand eine Aussicht, dass ich mein Leben nicht als Einsiedler beenden würde. Sie kaufte mir das modernste Fahrrad in ganz Anzali und brachte einen Onkel dritten Grades vom anderen Ende der Stadt her, um mir zweimal die Woche etwas über Motoren beizubringen. Er sagte, ich hätte zwei linke Hände, aber meine Mutter sah stolz aus, und mein Vater rief mich immer, komm, kleiner Mann, zeig mir, was du heute gelernt hast, und dann lauschte er meinen höchst verwirrenden und überflüssigen Erklärungen, umarmte mich, kitzelte mich am Bauch und sagte, du meine Güte, so etwas hab ich noch nie gesehen, ein Profi bist du, in einem Jahr machst du eine Autowerkstatt auf. Aber das war nicht das, was ich wollte. Die Abendausflüge wurden länger. Ich genoss die kühle Luft der Dunkelheit, zu sehen, wie die Läden schlossen, die Bürgersteige nur mit einer Handvoll müder, eiliger Passanten bevölkert. Auf dem polnischen Friedhof versteckten wir eine Sammlung von Ersatzteilen, und wir wussten schon, dass wir ein Holzboot oder ein Floß finden mussten. In der zehnten Klasse wollte ich mich endlich wie ein Mensch fühlen. Es war nicht so, dass ich mich nicht

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