Der geheime Basar
Geschlechtsumwandlung machen zu lassen. Welche Logik hat das? Erklär mir das, hört sich das wie der Wille der Natur an? Klingt das nur für mich völlig wahnsinnig?»
«Du wirst dich wundern, Kami, für mich klingt das sogar pragmatisch und rücksichtsvoll, es ist doch schön, dass man sich die Mühe macht, eine Lösung zu finden, um jemandem zu helfen, der mit einem Mann zusammenleben und trotzdem nicht vom Weg des Koran abweichen will. Kennst du eine aufgeklärtere Religion?»
Ich war erschüttert. «Nirgendwo auf der Welt denkt irgendjemand, dass wir aufgeklärt sind, man denkt, wir sind wie die Taliban, das ist erniedrigend für mich, ich schäme mich, ein Teil davon zu sein.»
«Bist du denn ein Baby? Was kümmert es dich, was die Welt denkt? Werde erwachsen! Schau dich um, bei dir in der Universität, über sechzig Prozent sind Studentinnen. Frauen. Sie waren Sexsymbole und ausgebeutete Bauchtänzerinnen, aber die Revolution hat ihnen Respekt verschafft. Du ziehst es offenbar vor, sie auf Nacktplakaten hängen zu sehen, nur damit du das Gefühl hast, du wärst im Westen, damit du dich progressiv fühlen kannst.»
Ich wollte weg. Aufstehen, die ganzen Teller und Gläser vom Tisch fegen, dem niedrigen Holztisch einen Tritt versetzen, die Scherben zertrampeln und vielleicht auch Amirs Kopf, und aus dem Restaurant rennen. Doch ich war nicht imstande, von der Diskussion zu lassen, ich musste ihn erniedrigen, damit er einsah, wie armselig sein Denken war. «Belüg dich nicht selber, Amir Teimuri, das gesetzlich erlaubte Heiratsalter von achtzehn auf neun Jahre herabzusetzen, bezeugt das deiner Ansicht nach Respekt vor der Frau? Einem Mann erlaubt ihr vier Frauen, und dazu noch unzählige wechselnde Frauen nebenbei, Prostituierte, alles ist legal für den Mann. Der Frau gestattet ihr einen Ehemann. Ohne Ehemann lasst ihr sie nicht mal alleine atmen. Wenn ihr sie dazu zwingt, an der Hintertür in den Bus zu steigen, symbolisiert das ganz genau, was ihr denkt. Versteck dich wenigstens nicht hinter Schlagwörtern von Fortschritt und Respekt.» Das schoss ich alles auf ihn ab, und dann senkte ich den Blick.
«Du bist bloß ein Demagoge», antwortete er nun ganz friedlich. «Dir entgeht die gesamte Logik. Nimm zum Beispiel die Metro. Es gibt einen Waggon nur für Frauen, den vorderen, richtig? Da wirst du natürlich sagen, siehst du, das ist ein Gefängnis für Frauen, denn du willst das so sehen. Aber in Wahrheit ist es umgekehrt. Eine Frau kann in jeden Waggon einsteigen, der ihr gefällt, völlig frei. Doch wenn sie Intimsphäre möchte, sich ausbreiten und bequem fühlen will, ohne dass schwitzende Männer sie in dem Gedränge betatschen und sie wie brünstige Tiere anstarren, kann sie in den Frauenwaggon steigen und sich sicher fühlen. Was ist das bitte, wenn nicht ein Beweis von Respekt? Was ist daran nicht in Ordnung? Meiner Meinung nach müssten sie geschmeichelt sein, dass man ihre behexende, grenzenlose Macht so berücksichtigt.»
Der Ober sammelte die Krümel ein und wischte Sauceflecken mit einem nassen Lappen weg. Als er sich entfernt hatte, flüsterte ich: «Ich werde dir mal sagen, was das Problem ist, Amir, du kennst überhaupt keine Mädchen, du hast dich noch nie mit einem Mädchen getroffen, hast nie mit einem Mädchen geredet, was hältst du mir also einen Vortrag über Mädchen?»
Er schwieg. Beleidigt.
«Noch etwas Süßes?» Der Ober war zu einem unglücklichen Zeitpunkt zurückgekehrt.
«Verzeihung», bellte ich, «Sie stören.» Er zog sich zurück.
Wir ließen verzweifelt den letzten Rest Luft aus unseren Lungen. «Vergiss es, azizam», schüttelte ich den Kopf, «wir hören einander überhaupt nicht zu.»
8
Dann hatten wir bezahlt, traten auf die Straße hinaus und marschierten Richtung Bahnstation den Vali-Asr-Boulevard hinunter, mit seinen zwanzig Kilometern einer der längsten der Welt, der am Rah-Ahan-Platz beginnt, die Armenviertel durchquert, die Imam Chomeini kreuzt und dann in den schattigen Norden aufsteigt, wo die Luft eine Spur sauberer ist – zu den Wandgemälden, die zwischen den Betonmauern wie ein Fenster mit Blick auf tropische Strände wirkten. Es war ein Wunsch, der uns drei Jahre lang begleitet hatte, diesen Boulevard abzuwandern. Wir ließen ihn nie aus, wenn wir auf die Katschian-Brücke kletterten, um in den Sommernächten Träume zu spinnen, und nun waren wir da, doch es war vielleicht unser letzter gemeinsamer Spaziergang.
Ich hatte es satt zu lügen, ihm
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