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Der geheime Basar

Der geheime Basar

Titel: Der geheime Basar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ron Leshem
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hatten wir einen Dichter, der die persische Sprache wiederbelebt hat. Wer sonst hatte einen Poeten wie Firdausi? Wir sind keine Araber, bei ihnen gab es vor dem Islam nichts als Barbarei. Nilu versank in Gedanken, und ich fragte mich, was wird die Zukunft bringen, was kann man tun, doch die Antwort, die ich mir selbst darauf gab, hallte in meinem Kopf wider: Nichts, ich kann absolut nichts ändern.
    Als ich in die Wohnung zurückkehrte, riss Zahra die Augen auf und trat zu mir, um mir über den geschorenen Schädel zu streicheln, sie ließ ihre kalte Handfläche über die kurzen kratzigen Stoppeln gleiten, doch ihre Augen nagelten mich fest. «Du ähnelst so sehr deinem Onkel, Allah möge sich erbarmen, du bist ein kleiner Arian.»
    «Es tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.»
    Sie insistierte. «Nein, das braucht dir nicht leidtun, das ist die Natur, die uns irreführt.» Und dann holte sie den verbotenen Wodka und schenkte uns zwei Gläser davon ein.
    Ich wollte kein Gespenst für sie sein.

7
    Dann kam Amir für einen Tag in die Stadt. Er hatte eine Mitfahrgelegenheit im Getreidelaster von Ali Ratscha vom Markt erwischt, und am Mittag klopfte er an Zahras Tür. Wir standen einander gegenüber, wussten nicht, was wir mit den unbeholfenen Gliedern in diesem emotionsgeladenen Augenblick anfangen sollten. Ich schnappte ihm den kleinen Rucksack weg, warf ihn ins Zimmer, und wir stürzten uns sofort die Treppen hinunter, wer als Erster ankäme. Amir siegte. Er zwängte eine Münze in die gelb-blaue Sammelbüchse für die Armen auf Herrn Nadschafians Ladentheke, und dann verloren wir uns in den heißen Gassen, die uns nach Süden zogen. «Es ist gar nicht typisch für dich, spontan zu sein», sagte ich, «vielleicht tut dir die Sehnsucht gut.» Es gäbe so viel zu berichten, dachte ich, doch eine einzige Frage blockierte meine Gedanken, ich wollte ganz verzweifelt wissen, ob er bleibt.
    Ich versuchte vorzufühlen, stieß einen langen, erschöpften Seufzer aus und fragte: «Erklärt mir mal, Amir, du und deine Ajatollahs, warum ist es mir verboten, kurze Hosen in dieser Hölle anzuziehen?» Und ich verfluchte die klebrige Feuchtigkeit, gegen die sogar die tiefhängende Wolkenschicht nichts half. Amir lächelte und schwieg. Er wirkte angespannt. Ich hängte mich an seine Schulter, zauste seine wilde, strubbelige Haarmähne, kaute kurz an meinen Lippen und rief: «Ich hab dich vermisst, kleiner Ajatollah!» Er lächelte verlegen, wie ein kleiner Junge.
    «Also was», fragte ich, «ist es dir schon vergangen, die ganze Sache?»
    «Nein», antwortete er hilflos, zog die Augenbrauen hoch und streifte mich mit einem unruhigen Blick.
    «Wann vergeht es dir denn dann?»
    «Warum ist das so dringend für dich?»
    «Weil ich dich hier bei mir haben will.»
    Er zuckte die Achseln, ich war nicht überzeugt, dass er mir glaubte. «Es gibt auch alle möglichen Dinge, die ich dir gerne erzählen würde», reizte ich ihn, «aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann.»
    «Was zum Beispiel?», fragte er bestürzt. Und schon hatte ich das Gefühl, dass ich ihn verletzte, noch bevor ich überhaupt etwas erzählt hatte. Es war schwierig zu entscheiden, was von all den Geschichten ihn am wenigsten bekümmern würde.
    «Was verheimlichst du?», wollte er wissen.
    «Das ist egal. Nicht egal ist, dass ich Amir Teimuri zurückhaben will.»
    Mit sechzehn brachen wir einmal in ein Trainingslager des Zivilschutzes auf. Erste-Hilfe-Übungen, in die Schutzräume hinuntergehen, und dann, am Schießstand, ohne Absicht, entwischte mir aus Versehen eine Kugel aus der Kalaschnikow, die Amir in den Hintern traf. Er weinte, obwohl es nur eine Platzpatrone war. In jener Nacht standen wir am Wachturm auf Posten, und er rupfte die ganze Zeit an seinem Verband und wollte wie üblich von unserem Flug nach Thailand phantasieren, das mache gute Laune, wobei er natürlich praktisch dachte. «Wir müssen unsere Eltern überreden», sagte er, «versprich mir, dass wir fliegen, sobald wir Geld haben.» Ich sagte, das sei noch zu weit weg für Versprechungen, und er war bestürzt. Was für eine Einstellung ich mir denn plötzlich zugelegt hätte? Nichts sei zu weit weg für Versprechen. Minutenlanges Schweigen, und dann erzählte ich ihm, dass ich beschlossen hatte, mich selbst zu prüfen. Dass ich alles Mögliche läse, allein lernte, herauszufinden versuchte, ob ich das, was ich war, nur aufgrund dessen war, weil ich dort geboren wurde, wo ich geboren worden

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