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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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schauten über das Wasser und versuchten, alle Taschen und Kisten der Familie im Auge zu behalten. Der Kutscher hatte uns und unsere Siebensachen zum steinernen Anleger gefahren. Ganz oben lagen Amanda Ottos Hutschachteln sowie ihre Anweisungen für die Vorbereitungen bis zu ihrem Eintreffen. Das Haus sollte vor allem von Tor und Fridolf mit ihren Familien genutzt werden, während Carl, Amanda und Ruben im Grand Hotel wohnen würden. Das Haus musste aufgeräumt und hergerichtet werden, und dafür waren wir zuständig.
    Dass ich als Dienstmädchen vorausfahren und für einen angenehmen Urlaub sorgen sollte, war eine Selbstverständlichkeit,
dass Lea mitkam, dagegen eine Provokation. Im Schuhladen und in der Fabrik war sie für Amanda Otto unerreichbar, aber ihr Hass auf das ehemalige Dienstmädchen war nicht verflogen. Ob Amanda Otto wusste, dass Lea die Geliebte ihres Mannes und eng mit dem Sohn des Hauses befreundet war, weiß ich bis heute nicht, so wenig wie ich weiß, ob Vater und Sohn Otto klar war, dass sie dieselbe Beute beschlichen. Lea kam mit, weil Carl Otto sich durchgesetzt hatte. Die Ottos brauchten auf Marstrand ein zweites Dienstmädchen und hatten keine andere zur Hand. Einen richtigen Ersatz für Lea hatten sie nicht gefunden. Ihre Nachfolgerin war nach wenigen Wochen verschwunden.
    Als die Bohuslän losfuhr, fing Lea an zu lachen. Ihr Lachen vermischte sich mit dem Tuten des Dampfers, und wenn ich die Augen schließe, sehe und höre ich sie. Dunkle Haare, die sich aus dem Knoten lösen, die Hände um die Reling geschlossen, das herzförmige Gesicht und das Muttermal mir zugewandt, der Mantel mit der Pelerine, die der Wind gegen die Wangen presste. Ich sah sie an und sagte lachend, dass sie zu allem fähig sei und dass ich mich bei ihr sicher fühlte. Etwas in mir krampfte sich zusammen, als Spiegelbild der Zukunft, denn ich glaubte zu sehen, wie Jakob mit einem langen Sprung über die Laufplanke setzte und zwischen den Passagieren auf dem unteren Deck verschwand.
    Nachdem ich ihm alles gesagt hatte, war er mir einige Tage lang aus dem Weg gegangen. Dann tauchte er wieder auf und sagte, Geschäft sei Geschäft, und wen ich heiraten wollte, habe nichts damit zu tun. Er selbst brauche Geld, und wir wüssten, wozu. Seine Schwester dürfe nicht darunter leiden, dass ich anderen nachlief, deshalb wäre es nett, wenn wir weitermachen könnten. Lea sagte ja, und ich nickte und versuchte, ihm in die Augen zu schauen. Dort sah ich Kummer und Zorn, in dieser Reihenfolge.

    Aber ich hatte Anton, und mir gehörte die Welt. Sein Zimmer wurde zu unserem Reich, und dort fand ich ihn wieder und wieder, fand Körper und Seele und entdeckte alle Winkel, die mir gehörten, wie er behauptete. Wir lagen im Bett, und er erzählte, wer er war. Erzählte vom Leben der rechtlosen Landarbeiter und seiner Angst vor seinem Vater, von Schlägen und Drohungen und dem Wunsch, sich zu widersetzen. Von der Schule und den Büchern, die ihm das Überleben ermöglicht hatten, von der Ohrfeige, die ihm der Pastor versetzt hatte, als er versuchte, die Punkte der Erbsünde vom Bild des Herzens zu tilgen, von der Zeitung, die über die Schiffsjungenausbildung schrieb, die angeblich leicht zum Rang des Unteroffiziers führen könne.
    Er erzählte von dem Traum, Gutes zu tun, von einer Welt ohne Unterdrückung und seinem Hass auf den Krieg. Von einer christlichen Studentenverbindung und dem Schulbesuch für alle. Er sprach so wunderbar, und ich wollte endlich Mutter schreiben. Ich möchte, dass du jemanden triffst, und du weißt, wer er ist.
    Wir stromerten über das Deck, rochen die salzige Luft und bewunderten die Schären am Horizont. Ruben war bei uns, offiziell, um uns das Haus zu zeigen. Er würde zwar im Grand Hotel wohnen, aber irgendwer musste doch unsere Arbeit überwachen. Als wir Göteborg hinter uns gelassen hatten, kam er und verschwand irgendwo mit Lea. Ich dachte an Jakob und fragte mich, ob ich richtig gesehen hatte, und wenn ja, was er hier wollte. Er hatte Verwandte auf Marstrand, das hatte er erzählt. Mir war aber nicht bekannt, dass er sie besuchen oder uns begleiten wollte.
    Mit dem Schiff zu fahren war eine Befreiung, und nach Marstrand zu kommen ein Erlebnis. Das Meer machte etwas mit mir, und ich wusste in diesem Moment, dass ich immer am Meer sein wollte, wenn das möglich wäre. Die Festung thronte
auf den Felsen, die Boote drängten sich im Hafen, und das Gewimmel der Menschen erinnerte mich an die Ameisenhügel

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