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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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erleichtern? Sie hatte für die Auskunft gedankt.
    Onkel Ivars Ermahnung. Ich finde, darüber solltest du mit deinem Vater sprechen. Sie trank ihren Zitronentee und verbrannte sich die Zunge. Das passierte jedes Mal, wenn sie hier war.
    »Papa. Ich muss dir etwas erzählen, etwas, wobei du mir helfen kannst, glaube ich. Ich habe beim Aufräumen im Schuppen einen Karton gefunden. Das Aufräumen war dringend nötig, es lag so viel alter Kram herum. In dem Karton waren alte Papiere und ein Brief. Jetzt habe ich mit allerlei Leuten gesprochen, und offenbar wurde der Brief von einer Frau geschrieben, die Linnea hieß und Lea genannt wurde. Eine gute Freundin von Oma. Der Brief kam aus Afrika, dort hat sie als Missionarin gearbeitet. Es ist die Rede von etwas, das dort passiert ist … es ging um Leben und Tod … etwas sehr Wichtiges also. Ich habe inzwischen so einiges über Oma und Lea erfahren. Darüber, wie sie zusammen in Göteborg gearbeitet haben. Und über einen Mann mit einer Narbe. Wie Opa.«

    Die Augen. Blaue, gesprungene Fliesen, Staub in den Fugen. Bewegte sich darin etwas?
    »Papa. Ich weiß, dass es seltsam klingt. Aber in diesen Tagen auf Marstrand ist mir aufgegangen, dass ich vieles nicht weiß. Und Onkel Ivar hat mir etwas über Oma erzählt. Dass sie vielleicht einen anderen Mann geliebt hat als Opa und dass sie …«
    Konnte sie ganz offen sagen, dass sie jetzt wusste, dass Onkel Ivar und ihr Vater verschiedene Väter hatten? Konnte sie über das alte Unglück sprechen, das vielleicht dazu beigetragen hatte, dass er hier saß und nichts sagte, belastet von dem Wissen um seinen starken Bruder?
    Sie erhob sich und wanderte ziellos im Zimmer hin und her. Kontrollierte den Vorrat an Zahnpasta und Seife, goss die Topfblumen, warf alte Weintrauben weg. Setzte sich wieder vor ihren Vater und nahm noch einmal seine Hände. Nichts hatte sich geändert. Seine Augen, die starrten, ohne zu sehen. Der in sich zusammengesunkene Körper im Sessel. Das hatte sie im Laufe der Jahre so oft gesehen. Niemals hatte sie über ihre eigenen Sorgen gesprochen. Ihm zuliebe, der sie im Stich gelassen hatte, indem er krank und stumm wurde. Genau wie Mårten, der gestorben war. Wie konnten sie das tun? Sie im Stich lassen und verschwinden. Sie spürte ätzenden Zorn, von dem sie wusste, dass er unlogisch und egoistisch war. Man wird nicht krank, um anderen eins auszuwischen. Man stirbt nicht aus purer Gemeinheit. Aber genauso kam es ihr vor.
    Sie fing wieder an zu reden und klang dabei immer hysterischer.
    »Ich glaube, mir ist es in meinem ganzen Leben noch nie so schlecht gegangen, Papa. Ich weiß nicht, wie ich zurechtkommen soll. Ich schleppe mich durch die Tage, und wie lange das noch gutgehen wird, weiß ich nicht. Ich vermisse dich und unser gemeinsames Leben, ich vermisse dein Lachen, deine Witze,
dein Gitarrenspiel und dass du immer so stolz warst, wenn ich angerufen und von meinen Ausstellungen erzählt habe. Obwohl du das manchmal nicht zugeben mochtest. Ich vermisse Mårten so sehr, dass ich glaube, daran zu zerbrechen, und ich bin einsamer als je zuvor. Und jetzt will ich mehr über meine Familie erfahren. Ich weiß, dass du nicht denselben Vater hattest wie Onkel Ivar. Ich weiß, dass du das als kleiner Junge erfahren hast und es nicht vergessen konntest und dass etwas passiert ist, als Opa starb. Ich glaube, du weißt etwas darüber, was in Leas Brief steht. Onkel Ivar meinte, ich solle dich fragen. Ich weiß nicht, was dein Schweigen bedeutet, aber ich muss es dennoch versuchen.«
    Sie beugte sich zu ihm vor und sah, dass seine Mundwinkel zuckten. Huschte ein Schatten über sein Gesicht?
    »Bitte, Papa!«
    Nichts.
    Wie lange sie so vor ihm saß, wusste sie später nicht mehr. Es konnte eine Minute gewesen sein oder zehn oder dreißig. Aber als er den Arm bewegte, glaubte sie zuerst nicht richtig zu sehen. Er hob den Arm und streckte die Hand aus. Er zeigte auf etwas, und als sie sich umdrehte, ging ihr auf, dass er auf den Kleiderschrank zeigte.
    »Zeigst du auf den Schrank, Papa? Soll ich da hingehen?«
    Sie redete weiter, als sie den Schrank öffnete, in der Angst, die Magie zu zerstören. Sie sah Mantel und Hosen, einige Jacketts, Hemden und Pullover, ein Paar Schuhe und Pantoffeln. Sowie eine graue Schachtel. Sie nahm sie und fing an, den Inhalt auf das Bett zu legen. Eine Haarbürste, Taschentücher, Bücher, eine Uhr.
    »Was soll ich suchen? Was willst du mir sagen? Hier gibt es nichts, was eine Hilfe sein

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