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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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nicht nach Mastrand kommen. Dort würde die Geschichte ihn einholen, und diesmal könnte er nicht fliehen. Ich beteuerte, dass er sich nicht meinetwegen in Gefahr bringen sollte. Ich küsste ihn, riss mich für diese Wochen von ihm los, und seither war mein Entschluss gereift. Wir könnten Ruben und Lea begleiten. Ruben sprach jetzt über Anton, als habe er meine Gedanken erraten, und sagte, er habe versprochen zu schreiben. Ich wusste, dass Anton Ruben von uns erzählt hatte, aber Ruben hatte nichts zu mir gesagt. Wir benahmen uns genau wie sonst, vielleicht, weil Worte die Lage noch komplizierter gemacht hätten, als sie ohnehin schon war.
    Auf dem Tanzboden forderte Lea Ruben auf, ehe der protestieren konnte. Er tanzte nur selten und erklärte, die Berührung dabei sei ihm peinlich, und er gerate immer aus dem Takt. Aber an diesem Abend war irgendetwas anders, denn er ließ sich führen. Ich blieb sitzen. Kaum hatte ich einem freundlichen
Mann dankend abgesagt und spielte ich mit dem Gedanken, einen Spaziergang durch den Wald zu machen, da stand er vor mir. Jakob, und doch nicht er. Seine Haare waren ungekämmt, sein Gesicht leicht gerötet und der Ausdruck in seinen Augen fremd. Er trug seine gute Jacke.
    »Darf ich um einen Tanz mit der jungen Dame bitten? Aus alter Freundschaft?«
    Er versuchte, mich auf den Tanzboden zu führen, aber ich widerstrebte, winkte Lea zu und ging dann mit ihm zur Seite.
    »Was machst du hier?«
    Er lachte. Ein freudloses Lachen, wie ich es noch nie gehört hatte. Dann erklärte er, er habe Verwandte auf Marstrand, nicht ich, deshalb sei die Frage ja wohl fehl am Platze. Er habe schon lange vorgehabt, diese Leute zu besuchen, und wenn ich beschlossen hätte, zur gleichen Zeit hier zu arbeiten, dann sei das allein meine Sache.
    »Was redest du für Unsinn.«
    »Unsinn habe ich ja wohl eher geredet, als ich dachte, aus uns würde etwas werden. Als du Versprechen gemacht hast, die du nicht halten wolltest.«
    »Ich habe dir nichts versprochen.«
    »Was ist denn an mir auszusetzen, Rakel? Wir passen zusammen, das war schon seit unserer ersten Begegnung so. Und durch mich hast du jetzt Geld. Ich würde alles für dich tun. Bitte, kannst du dir die Sache nicht überlegen?«
    »Wenn das nur möglich wäre. Ich mag dich so sehr … aber ich liebe einen anderen, und solche Dinge kann man nicht lenken. «
    Es klang pathetisch. So zuckersüß, billig und blutarm. Jakobs Wunsch, meine Weigerung, unsere jämmerlichen Versuche, einander die größten Gefühle und den schlimmsten Verrat zu erklären. Dann Jakobs Bitte, mit ihm über die Insel und dann zu
seinem Haus zu gehen. Mich zu einem Kaffee einladen zu lassen. Diesen Gefallen könnte ich ihm doch wohl tun?
    Ich zögerte zu lange, und er zog mich vom Tanzboden weg und in den Wald. Der Weg schlängelte sich zwischen uralten Bäumen und steilen Klippen dahin. Hier zeigte Marstrand ein anderes Gesicht, ein verträumteres. Jakob ging neben mir, hielt meinen Arm und war wieder er selbst. Er atmete ruhiger, und sein Gesicht nahm seine normale Farbe an, als er von der Insel erzählte, von der er als Kind so viel gehört hatte und die er so oft wie möglich besuchte.
    Eine Kusine seiner Mutter hatte in eine hiesige Fischerfamilie eingeheiratet. Ihr fehlte zwar manchmal der feste Boden, aber sie hatte ihm voller Eifer erzählt, wie Marstrand zwischen Schweden und Norwegen hin und her gerissen worden war, und wie die Heringsbestände und damit gute und schlechte Zeiten gekommen und gegangen waren. Wie die Gefangenen in der Festung mit Fußeisen bestraft wurden, wenn sie sich widersetzten, und wie der Dampfer damals Leute aus Göteborg gebracht hatte, die die Gefangenen fütterten wie Tiere in einem Zoo. Wie die Königlichen die Insel vergoldet und die feinen Leute dazu gebracht hatten, sich noch feiner vorzukommen.
    Ich dachte an Lea und Ruben und daran, was an diesem Abend vielleicht geschehen würde. Nun öffnete sich der Wald, und wir erreichten die Felsen. Vor uns lag das Meer, gefärbt von der untergehenden Sonne. Die Boote kamen und gingen, die Vögel kreisten über dem Strand, und nichts kam mir unwirklicher vor als die Vorstellung, dass sich in diesem Wasser Minen und Torpedos versteckten. Marstand erschien mir in diesem Moment wie eine Freistätte, geschützt vor der Wirklichkeit, und ich drehte mich zu Jakob hin, um ihm meine Gefühle zu schildern. Er starrte vor sich hin, sein Gesichtsausdruck berührte mich. Plötzlich ging mir auf, was es

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