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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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zu Hause. Ruben und Lea kamen zu mir, und wir schafften unser Gepäck an Land, wo es von Trägern zum Sommerhaus gebracht wurde. Wir bahnten uns einen Weg durch das Gedränge und wichen den Schauerleuten aus, die das kostbare Wasser vom Festland an Land holten. Ich hielt Ausschau nach Jakob, konnte aber nicht sehen, ob er an Land gegangen war.
    Ein Mann mit der Nummer 9 auf der Mütze, einer von zwölf nummerierten Trägern, stellte sich als Sohn des Hauses vor, das Ottos gemietet hatten. Es gehörte einer Fischerfamilie, die sich während der Saison im Schuppen zusammendrängte, die Sommerfrischler übers Meer fuhr und die Fische in Ruhe ließen, da sie weniger einbrachten. Der Träger sagte, seine Mutter erwarte uns im Haus.
    Lea betrachtete die Landschaft mit derselben Freude wie das Meer.
    »Hier werde ich mich wohlfühlen, Rakel«, sagte sie und bezog Läden, Cafés, Hotel und Sommergäste in dieses Lob ein. Unser Begleiter führte uns zu einem einige Straßen weiter gelegenen Haus. Die Tür wurde geöffnet, und eine Frau begrüßte uns und hoffte, alles werde zu unserer Zufriedenheit ausfallen. Sie hatte bereits geputzt und eine einfache Mahlzeit vorbereitet, denn sie wusste, dass wir zu tun hatten und dass viel von uns verlangt wurde. Sie selbst arbeitete im Sommer als Badewärterin, aber falls wir Hilfe brauchten, könnten wir auf sie zählen. Ruben bedankte sich bei ihr und ihrem Sohn mit einem Geldschein. Dann ging er zum Grand Hotel und versprach, bald von sich hören zu lassen.
    Es war ein schönes Haus mit mehreren Schlafzimmern, Wohnzimmer und Küche. Unter der Decke hingen Ruder. Die Wirtin bemerkte mein Erstaunen und sagte, das sei hier auf
der Insel ein Brauch. Ruder und Segel würden nach dem Fischen mit nach Hause genommen. Jetzt säßen natürlich keine Gefangenen mehr in der Festung, aber früher hätten die, die ihre Ruder vergaßen, Buße zahlen müssen. Geflohene Gefangene hätten am Strand kein Boot mit Ruder und Segel vorfinden dürfen. Ansonsten gebe es Tanzabende oben beim Reitstall und Konzerte im Societetshus, »falls Gesellschaft fehlt.« Der Glanz sei zwar nach dem Tod des alten Königs verblasst, für gewöhnliche Sterbliche aber doch noch gut genug.
    Für kurze Zeit setzten wir uns, als ob wir in unserem eigenen Rhythmus atmen dürften und Herrinnen unserer Zeit wären. Danach klopften wir die Bettwäsche aus, trugen Holz ins Haus, machten ein Feuer und legten die Polster davor. Wir rieben Schränke, Regale und Garderoben aus, wischten Staub und verjagten die Spinnen im Keller. Das Haus war zwar schon sauber, aber Amanda Otto würde mit dem Zeigefinger über die Türleisten fahren und stellvertretend für ihre Söhne die Ecken inspizieren.
    Wir machten eine Pause, kochten Kaffee und setzten uns auf die Vortreppe. Als wir den Kaffee getrunken hatten, ging Lea ins Haus und steckte ein Bündel Geldscheine unter die Matratze des Zimmers, das wir bewohnen würden. Einen Teil des Geldes hatten wir auf dem Festland gelassen, den Rest mitgenommen. Lea wollte das Risiko verteilen, denn sie konnte es kaum mehr erwarten, dieses Leben aufzugeben.
    Es war nun so weit. Sie spürte es im Leib, ihre Blutung war ausgefallen. Fast hätte man an diesen unzuverlässigen Gott glauben können, denn jetzt war Ruben hier, sie hatte das Haus, und die Polster mussten auch im Hotel ausgeklopft werden. Ich wollte nicht daran denken, was nun geschehen musste. Die Vorstellung, dass Lea ein neues Leben unter dem Herzen trug und was passieren würde, wenn ihre Rechnung nicht aufginge,
machte mir Sorgen. Dass ich Gefahr lief, in dieselbe Situation zu geraten, tauchte in meinen Überlegungen nicht auf. Und dabei war ich doch die Tochter meiner verständigen Mutter.
    Ruben hatte noch gefragt, ob wir abends ausgehen würden. Wir wollten uns umsehen und es genießen, dass wir das Haus noch für uns hatten. Er kam uns abholen, elegant gekleidet in Grau und Weiß. Ich sah ihn mit Leas Augen und versuchte mir vorzustellen, wie seine Hände einen anderen Mann berührten, aber das gelang mir nicht. Ich konnte nur seine Nähe zu Lea sehen.
    Wir gingen an den Kajen entlang, schauten uns den Betrieb an, wanderten Hänge hoch und hinunter und hörten aus der Ferne Musik. Ruben erklärte, dass das hier sein letzter Sommer in Schweden sein würde. Er könne vor seinen Eltern und allen anderen nicht mehr heucheln. Er hielt Lea im Arm, als er das sagte, und ich sehnte mich nach Anton und dachte daran, was er gesagt hatte. Er konnte

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