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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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bedeuten würde,
Schweden mit Anton zu verlassen. Ein anderes Land. Ein Ozean zwischen mir und den Meinen. Ich fröstelte. Jakob zog seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern, ohne mich dabei zu berühren.
    Schweigend sprangen wir von einem Stein zum anderen und erreichten das Dorf. Jakob führte mich weiter, und dann standen wir vor dem Haus. Es war gelb und hatte Ähnlichkeit mit dem, das Ottos gemietet hatten, nur war es kleiner. Ein kleiner Garten mit Schuppen und einer Rasenfläche. Hübsche Fenster und eine Bronzeglocke an der Tür. Jakob zog an der Schnur, und die Glocke ertönte, dann öffnete er die Tür und ließ mich eintreten.
    Das Haus war dunkel und die Verwandtschaft offenbar nicht zu Hause. Wir waren auf eine Weise allein, wie wir das noch nie gewesen waren, und ich spürte, ohne es zu spüren, wie er mich von hinten packte, an meinem Kleid riss, an meinen Haaren zerrte und versuchte, mich zu Boden zu werfen. Ich dachte, ich müsse schreien und mich wehren, ihn in die Hand beißen und mich losreißen, und dann sah ich ihn auf den Knien vor dem Kamin liegen und ein Feuer anzünden. Ich schüttelte angesichts meiner Überspanntheit den Kopf, dachte daran, was gewesen war, und schämte mich ein wenig über meine Phantasie. Unter der Decke hingen Ruder.
    Als wir nebeneinander vor dem Feuer hockten, fing er an. Er sei bereit zu arbeiten. Er glaube an Ehrlichkeit und Redlichkeit und an die Rechte der Frauen. Ich wisse ja, dass das Leben seiner Schwester eine Folge seiner Bemühungen war. Wenn er nur könnte, würde er mich auf Händen tragen und mir alle Möglichkeiten lassen, denn Mann und Frau seien gleich viel wert, und so sollte es auch sein.
    »Mit Anton wirst du unglücklich werden. Du bist nicht zur Frau eines Freikirchlers geeignet. In einem fremden Land. Dich
mit der Gemeinde abmühen und einen Pfarrhof leiten. Du willst Geschäfte machen und selbständig sein. Dich zusammenzureißen und fromm zu sein liegt dir nicht. Du wirst Heimweh nach deiner Familie haben und am Ende traurig sein.«
    »Ich glaube nicht, dass es in einer Baptistengemeinde einen Pfarrhof geben kann.«
    Ich fauchte zurück, weil er einen wunden Punkt berührt hatte. Er hatte nicht unrecht. Anton war das eine, eine Ehe mit einem Prediger etwas anderes. Meine Eltern hatten trotz allem nicht nur einen Gebetssaal gehabt, sondern auch einen Hof. Jakob verschwand in der Küche, mahlte Kaffeebohnen aus dem Hafen und setzte den Kessel auf. Bot mir eine Tasse an und war wie immer, freundlich und lieb.
    Er sprach erneut über seine Pläne. Wir hatten Geld. Das würde für ein eigenes Heim reichen. Seine Verwandten wollten verkaufen, die Fischerei aufgeben und aufs Festland ziehen. Er selbst hatte eine Liebe zum Meer und zu Marstrand gefasst und glaubte, dass ich diese Liebe verstehen könnte. Wir könnten das Haus kaufen und einen Laden aufmachen. Es kamen viele Touristen her, und tatkräftige Menschen könnten es weit bringen. Es gab genug Platz, dass die Familien zu Besuch kommen könnten. »Stell dir vor, Rakel, morgens und abends das Meer zu hören.«
    Ich schwieg und schaute ein Bild an der Wand an, einen Bauernhof mit Heuhaufen. Von dort war ich gekommen. Würde ich hier enden? Jakob redete weiter, und seine Worte berührten etwas in mir. Trotzdem spürte ich Anton in meinem Schoß und meinen Händen. Ich wollte nein sagen. Jakob hielt mir den Mund zu und bat mich, noch zu schweigen. Dieser Nacht zuliebe, Rakel. Ich sagte nichts, und das wurde vielleicht zu meiner größten Schuld.
    Er begleitete mich ein Stück weit nach Hause und erzählte,
dass seine Verwandten bei Nachbarn ein Stück weiter weg wohnten. Sie waren umgezogen, um das Haus zu vermieten. Die Gäste hätten an diesem Tag kommen wollen, würden aber doch erst später eintreffen. Er selbst durfte in dem Haus wohnen, bis die Sommerfrischler kamen, danach würde er wohl ebenfalls zu den Nachbarn gehen, falls er nicht nach Göteborg zurückkehrte. Er war ja vor allem hier, weil er versuchen wollte, mich zu überreden.
    Die Dunkelheit besänftigte uns. Vor dem gemieteten Haus der Ottos küsste er mich behutsam auf die Wange. Es war der alte Jakob. Ich erkannte seinen Humor und seine Ehrlichkeit und spürte dennoch so etwas wie eine Warnung. Dann fragte er, ob wir wie normale Leute am nächsten Tag tanzen gehen könnten. Der kleine Schluck Schnaps, den er an diesem Abend getrunken hatte, sollte der letzte gewesen sein. Gute Freunde könnten doch zusammen das Tanzbein

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