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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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verdutzt, dachte, dass die Überfahrt alles andere als gefahrlos sei. Auch wenn ich zum Aufbruch bereit war, bezweifelte ich doch, dass es Schiffe gab, die es in diesen Zeiten wagten, den Atlantik zu überqueren. Ich erwähnte auch, dass Jakob sich auf der Insel aufhielt, aus Angst, es könne auf andere Weise herauskommen und missverstanden werden. Anton fragte daraufhin, ob ich bereit wäre, ihm schon in wenigen Wochen zu folgen, vielleicht an einen Ort, wo wir auf eine passende Überfahrt warten könnten. Ich antwortete, ich müsse auf jeden Falls zuerst meine Mutter und meine Brüder besuchen und mit ihnen reden. Und fragen, ob jemand, was kaum vorstellbar war, mit uns kommen wollte.
    Ich erzählte Lea von unseren Plänen und sie schüttelte den Kopf wie immer, wenn sie von meinem Vorhaben hörte, mein Leben mit Anton zu teilen.
    »Ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es jetzt wieder. Du wirst mit dem Kerl nicht eine ruhige Minute haben, und glaub mir, Rakel, eine Frau braucht ruhige Minuten. Spannung ist nur ein anderes Wort für Unruhe, und wenn du die unbedingt haben willst, kannst du sie dir beschaffen, wenn du Geborgenheit als Pfand in der Tasche hast. Aber nicht ohne.«
    »Findest du denn gar nichts Gutes an Anton? So, wie ihr immer miteinander geredet und gelacht habt …«
    »Mit jemandem Worte zu wechseln ist nicht dasselbe wie, sein Leben zu teilen. Ob ich ihn gern mag, hat mit der Sache nichts zu tun, du Dummerchen. Natürlich mag ich Anton. Aber nie im Leben würde ich mein Leben von ihm beeinflussen lassen. Er wirft Gefühle ins Herdfeuer. Ich mache ihm da keine Vorwürfe, er ist eben so geschaffen. Solche Menschen gibt es. Wir werden immer befreundet sein, er und ich. Aber ich bin nicht sicher, ob ihr das auch könnt.«

    Ich hätte ihr eine Ohrfeige verpassen mögen, aber das schaffte ich nicht, denn sie beugte sich vor und küsste mich mitten auf den Mund.
    »Du bist zu gut für diese Welt. Also tu, was du nicht lassen kannst, mein Engel. Du kannst dich an meinem Busen ausweinen, wenn alles vorüber ist. Der wird immer für dich da sein.«
    Wir saßen in einem kleinen Restaurant, als sie das sagte. Das Licht war zart, aber zuversichtlich, in dem Wissen, dass es noch bis Mittsommer über die Dunkelheit herrschen würde. Das Lokal war voll besetzt und es wurde gelacht und gelärmt. Ottos waren essen gegangen, und wir hatten diese Stunde frei, danach mussten wir das Haus für die Nacht vorbereiten. Als zwei Offiziere an unseren Tisch traten und baten, uns Gesellschaft leisten zu dürfen, gab es deshalb keinen Grund, nein zu sagen.
    Sie bestellten Wasser, Wein und Schalentiere und erzählten derweil, dass sie gern auf Marstrand waren. Der eine, ein kräftiger Mann mit rauer Stimme, erzählte, dass er früher einmal Schiffsjungen ausgebildet hatte. Die Arbeit war lohnend und anstrengend zugleich gewesen. Es war schön, den Jungen zu einem möglicherweise besseren Leben zu verhelfen. Andererseits fiel es ihm schwer, mitanzusehen, wie sie manchmal misshandelt wurden.
    Die Jungen seien nicht immer leicht zu lenken. Der eine oder andere Schlingel könne seinen Kameraden das Leben erschweren. Er erinnere sich vor allem an einen. Ein frühreifer Jüngling sei das gewesen, einer, der sich immer für seine Kameraden einsetzte, dem es aber schwerfiel, sich den allgemeinen Regeln zu fügen. Immer wieder hatte er sich nachts hinausgeschlichen und sich mit den Mädchen im Dorf herumgetrieben, vor allem mit einer bestimmten.
    »Unangenehmerweise hatte einer meiner Offizierskollegen ein Auge auf dieselbe Frau geworden. Und dann kam es, wie es
kommen musste. Etwas Schlimmeres habe ich bei der Truppe nie erlebt, vorher nicht und auch später nicht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    Ich pulte eine Krabbe aus, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. Die Fühler der Krabbe stachen mich in die Handfläche.
    »Er hat ihn umgebracht.«
    »Wer hat wen umgebracht?«
    »Der Junge hat den Offizier umgebracht. Sie waren auf der Tanzfläche und gerieten dort aneinander. Der Offizier zog das Messer, und der Junge wehrte sich. So muss es gewesen sein, sagen die, die Bescheid zu wissen glauben. Andere sagen, der Junge habe den Offizier provoziert. Auf jeden Fall sollte die Sache vor Gericht kommen, aber sie wurde nie geklärt, da der junge Mann plötzlich weg war. Seither ist er spurlos verschwunden. Es wurde gemunkelt, er sei auf ein Schiff gegangen, das Marstrand damals gerade verließ. Aber die Polizei unternahm wohl auch

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