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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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könnten sicher sein, dass alle beide ihren Platz an dem Ort gefunden hätten, der Himmel genannt wird. Und dann kam von Papa eine lange Rede darüber, wie der Mann, er hieß Anton, ja, das muss der gewesen sein, den der Anwalt dir gegenüber erwähnt hat, wie er dort gelegen hatte und dass die Leiche im Wasser …«
    »Die Leiche?«
    Der Glühwein brannte in ihrem Magen, und das war gut. Die Leiche, über die sie in dem alten Zeitungsausschnitt gelesen hatte, lenkte nun die Aufmerksamkeit auf sich, wie das die Art der Toten war, so lange jemand sich an sie erinnerte. Onkel Ivar fischte eine Rosine aus seinem Glühwein und warf sie einem Dompfaff zu, der sich ein Stück von ihnen entfernt niedergelassen hatte.
    »Wenn ich das richtig verstanden habe, dann ist mein biologischer Vater nicht verschwunden, nicht so, dass er sie verlassen hätte. Sein Verschwinden lag daran, dass … er ums Leben kam. Mein Vater, Anton, wurde auf Marstrand vor den Augen von Jakob und Rakel totgeschlagen. Warum, weiß ich nicht, ich glaube, es war eine Eifersuchtsgeschichte. Er war offenbar ein Frauenheld. Auch Lea hatte auf irgendeine Weise etwas damit zu tun. Jakob … ja, der glaubte offenbar, er hätte das verhindern müssen. Aber das hatte er nicht, und Anton starb dort im Haus. In unserem Haus. Und um ihm eine anständige Beisetzung zu sichern, fuhren sie mit ihm aufs Meer hinaus. Dort gerieten sie mitten in eine Leichenschar. Soldaten, die in einer großen Schlacht gefallen waren.«
    »In der Schlacht am Skagerrak?«
    Sie sprach jetzt mit angespannten Lippen. Trank die heiße Flüssigkeit und begriff, warum ihr Onkel mehr als nur Rosinen
und Mandeln hineingegeben hatte. Dachte daran, was Gösta Levander über Anton Rosell oder Dahlström erzählt hatte. Der Polizei bekannt. Vielleicht ein Verhältnis mit Ruben Otto. Und Onkel Ivar hatte Anton als Mörder bezeichnet. Sie hoffte, er habe vergessen, was sie ihm über ihre Unterredung mit dem Anwalt gesagt hatte. Kein Mensch sollte jemals davon erfahren.
    Ivar machte ein überraschtes Gesicht.
    »Weißt du von dieser Schlacht? Ich hätte nicht gedacht …«
    »Darüber lagen Zeitungsartikel in dem Karton, in dem ich Leas Brief gefunden habe. Gleich mehrere.«
    Onkel Ivar schwieg eine Weile.
    »Dass wir den Karton nicht gefunden haben … ich meine, als wir Jakobs Nachlass aufgeräumt haben. Aber sicher war der im Schuppen versteckt. Und dann hast du ihn entdeckt.«
    »Was ist dann passiert?«
    »Es klingt so schrecklich. Aber so, wie sie sich ausgedrückt haben, haben sie Anton offenbar zu einem dieser Toten werden lassen. Sie haben etwas von einem anderen Soldaten genommen, als Erkennungszeichen, nehme ich an. Ich habe mich doch später über diese Schlacht informiert.«
    »Haben sie ihn zu den anderen ins Wasser geworfen?«
    »So habe ich das verstanden. Damit er in geweihter Erde bestattet werden sollte. Das hat Mama mehrmals gesagt. In geweihter Erde.«
    Das Schweigen klebte die Schneeflocken aneinander und machte aus ihnen einen undurchdringlichen Nebel. Sie versuchte, sich das vorzustellen, einen toten Soldaten, dem sein Rock und seine Identität genommen wurden.
    »E. Seeger.«
    »Ja, so muss er geheißen haben. Sie hatten ihm den Ring abgezogen, damit er nicht identifiziert werden konnte. Ganz verstanden
habe ich das nie. Papa hat etwas darüber gesagt, dass er nicht begreifen könnte, wieso Mama einen Ring weggeworfen und einen anderen behalten hatte, und Mama antwortete, sie könnte nicht erklären, was sie damals gedacht hatte. Aber wenn Seeger identifiziert worden wäre, hätte vielleicht jemand entdeckt, dass Antons Leichnam seinen Rock trug. Ich kann es nicht besser erklären, Inga. Es ist so lange her, und alle, die es wussten, liegen hier begraben. Aber ich weiß noch genau, dass Mama sagte, sie habe immer vorgehabt, Seegers Angehörige zu suchen. Man sei es diesen Deutschen schuldig, ihnen zu sagen, wo er begraben liegt.«
    Der Ring in ihrer Tasche brannte, als ob diese Worte ihn zum Leben erweckt hätten. Bei der Vorstellung, dass er am Finger eines toten Soldaten gesteckt hatte, wurde ihr fast schlecht.
    »Wo liegen sie jetzt? Dieser Soldat … und Anton?«
    »Die Toten, die bei Marstrand angeschwemmt wurden, wurden auf Koön begraben. Später wurden sie auf den Friedhof von Kviberg in Göteborg verlegt, irgendwann in den sechziger Jahren. Aber da war ich nie. Ich konnte es einfach nicht über mich bringen. Als ob es die Gerüchte in Wirklichkeit verwandeln würde.

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