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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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Verandatür. Er war so neugierig. Als er hörte, dass sie zurückkam, riss er ein Bündel Papiere an sich und stürzte davon. Dann schämte er sich, brachte es aber doch nicht über sich, seine Beute zurückzubringen. Er wollte mir nicht sagen, ob er etwas gelesen hatte, aber er nickte verständnisvoll, als ich Afrika erwähnte. Er versteckte die gestohlenen Unterlagen in einem Karton. Und jetzt ist er zu eurem Haus gegangen, um den Karton in den Schuppen zu stellen.«
    »Weil er nicht abgeschlossen war.«
    »Vermutlich.«
    Sie schwiegen beide, bis Niklas fragte, ob sie zurückkäme. Sie antwortete, sie werde schon am nächsten Tag nach Marstrand aufbrechen und dann im Haus bleiben, wie sie es ursprünglich vorgehabt hatte.
    »Weißt du, meine Galeristin in Stockholm hat mich angerufen. «
    Sie erzählte von Izabella, zögerte ein wenig und berichtete dann, was die Galeristin vor einer Ewigkeit über ihre Zirkusbilder
gesagt hatte, und diese jetzt in Deutschland gefragt waren. Nach gewissen Zweifeln hatte sie vor, dem Verkauf zuzustimmen, falls die Angehörigen ihr Einverständnis erteilten. Niklas meinte, das müsse ihr doch vorkommen wie eine späte Anerkennung. Sie versuchte zu erklären, dass genau das nicht der Fall sei.
    »Ich habe so viel an diese Frau gedacht. Dass sie verzweifelt war. Ich wollte ihre Angst zeigen, um anderen Menschen etwas zu geben. Aber das war falsch.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich hätte dieses Foto niemals machen dürfen. Ich hätte die Kamera weglegen und sie umarmen müssen.«
    »Es steht nicht fest, dass das besser gewesen wäre. Durch deine Bilder hilfst du anderen, ihre Ängste zu bewältigen. Dadurch hast du viel mehr Einfluss. Du …«
    »Außerdem hat Izabella erzählt, dass sie einen Rückfall hatte. Sie muss operiert werden, ist aber entschlossen, wieder gesund zu werden. Sie schlug vor, ich könnte sie in der Galerie vertreten, während sie im Krankenhaus liegt. Wenn ich etwas machen wolle, das nur indirekt mit Fotografieren zu tun hat. Das war lieb von ihr.«
    Sie hatte ihn unterbrochen, weil sie keine Freundlichkeit annehmen konnte.
    »Wann soll das sein?«
    »In einigen Wochen. Ich habe noch nicht zugesagt.«
    Das andere war im Weg, das, was getan werden musste. Das, was jetzt über ihre Wangen strömte.
    »Wie geht es Anita?«
    »Ich weiß nicht. Seit unserem gemeinsamen Essen haben wir uns nicht mehr gesehen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht, ob ich im Moment darüber reden will.«

    »Habe ich etwas Dummes gesagt? Oder getan?«
    »Du hast einen ziemlich wunden Punkt berührt.«
    Niklas’ Antwort ließ sie erkennen, dass sie sich rücksichtslos verhalten hatte. Sie war in Niklas’ Gefühlsleben einmarschiert, ohne zu überlegen, was das für Konsequenzen haben könnte. Sie schaute aus dem Fenster in dem lächerlichen Versuch, die Aussicht zu genießen. Lächerlich, weil es draußen stockdunkel war. Wollte sie von Niklas etwa eine Bestätigung hören? Sie war im Moment offenbar eine einzige unbedachte emotionale Katastrophe.
    » Verzeihung.«
    Zuerst hörte sie nichts und dachte, Niklas habe noch vor ihrer Entschuldigung aufgelegt. Dann kam es.
    »Wenn du willst, dass ich hierbleibe, dann gehe ich nicht nach Dubai.«

     
     
     
    »Alte Grabstätten auf den Inseln, die lange nicht mehr als Friedhöfe benutzt wurden, werden jetzt wieder in Gebrauch genommen. Sie sollen den Fremden, die während der großen Schlacht in der Nordsee gefallen sind, einen Ruheplatz in geweihtem Boden bieten. Dort werden sie nun oft Seite an Seite mit ihren Gegnern bestattet.«
     
    Göteborger Handels- und Seefahrtszeitung, Dienstag, den 20. Juni 1916

Kapitel 18
1959
    Die Schlacht am Skagerrak. Die Schlacht von Jütland. Die große Nordseeschlacht. So ging sie in die Geschichte ein. In der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni 1916 stießen vor der Küste von Jütland die deutsche und die britische Flotte aufeinander. Ihr jeweiliges Ziel: sich die Herrschaft über das Meer zu sichern. Keine Seite hatte Erfolg.
    Stattdessen verloren sie Schiffe und Männer. Tausende von Toten. Die Anwohner der schwedischen Küste fischten die Reste in ihren Netzen auf oder fanden sie am Strand und erfuhren später, dass Norweger und Dänen dieses Schicksal geteilt hatten. Die Leichenfunde wurden gemeldet, die Friedhöfe füllten sich mit Männern, die Feinde gewesen waren. Über hundert Gräber wurden es in unserem Land, so viele, dass auch Inseln und alte Cholerafriedhöfe genutzt werden mussten.

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