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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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dass die Leichen in der Festung gesammelt wurden. Dort versuchte man, sie zu identifizieren. Wir fragten uns, was passieren würde, wenn sie Anton identifizierten, machten uns aber klar, dass das Meer seine Züge verwischt hatte.
    Die Jagd auf Anton Dahlström oder Anton Rosell wurde in diesem Zusammenhang zu einer Belanglosigkeit. Als die Inselwache erschien, erklärte Jakob, rein gar nichts von irgendeiner Schlägerei oder einem entflohenen Verbrecher gesehen oder gehört zu haben, und natürlich dürfe sein Haus jederzeit durchsucht werden. Er mische sich nicht ein, wenn sich das vermeiden ließ. Der Inselwache reichte das. Der Beamte konnte nicht mehr tun, als seinen Bericht weiterzugeben. Zu uns kam er nicht, was Lea die ganze Zeit gewusst hatte.
    »Du glaubst doch wohl nicht, dass diese feige Bande verraten hat, dass sie von zwei Frauen verjagt worden sind? Nein, Jakob werden sie fragen, aber uns nicht, und an Anton werden sie nicht denken, wenn die Kriegsopfer an Land geschwemmt werden oder zwischen den Makrelen in den Netzen hängenbleiben. «
    Ruben dagegen musste eine Aussage machen, schließlich war bekannt, dass er ein Freund des Entflohenen sei. Wisse er von dessen Verbrechen oder irgendwelchen Fluchtmöglichkeiten? Ruben schüttelte den Kopf und berichtete von gemeinsamen Studien und sonst nichts. Er war glaubwürdig, denn Lea hatte ihm nichts gesagt. Sie wusste, dass er niemals imstande gewesen
wäre, sich so sehr zu verstellen. Erst später wollte sie ihm alles erklären, fern der Heimat, wo er ohne Zeugen zusammenbrechen könnte.
    Aber damals verlangte niemand vom Sohn des Fabrikdirektors Carl Otto weitere Auskünfte, vor allem nicht, da er den Anwalt der Familie an seiner Seite hatte. Schweden brauchte noch immer Schuhe an den Füßen, und niemand wollte einen feinen Herrn mit einem Schurken in Verbindung bringen, solange so viele andere Dinge geklärt werden mussten. Es war schließlich Krieg, und man musste Prioritäten setzen.
    Ich begrub Anton und meine Zukunftspläne, während ich den Sommer auf Marstrand erlebte. Der Krieg wütete weiter. Die Briten reparierten ihre Schiffe, und die Deutschen analysierten den Sieg, von dem sie nicht wussten, ob sie ihn errungen hatten. Eine solche Schlacht sollte sich nicht wiederholen, aber der Friede lag dennoch in weiter Ferne. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Von nun an waren wir aneinander gebunden, Jakob und ich. Es gab keine andere Möglichkeit.
    Er brauchte fast nicht zu fragen, und ich brauchte fast nicht zu antworten. Als sei es schon längst so entschieden, gab ich ihm mein Jawort. Ohne Bedauern verließ ich Masthugget und die Familie Otto. Ich wurde von den Nachbarinnen herzlich umarmt, erhielt in Vasastaden ein gnädiges Zeugnis und nahm alles zu meinen Erinnerungen. Wir heirateten in Fiskinge. Auf dem Hochzeitsfoto sitzt die Familie vor dem Haus, eine Studie in Schwarzweiß, als sollte diese Ehe niemals farbenfroh werden. Ich freute mich über das Wiedersehen mit allen, und wieder musste ich an Amerika denken und daran, was es bedeutet hätte, sie alle zu verlassen. Mutters Umarmung war warm, aber sie war gebrechlicher geworden.
    Meine Brüder waren glücklich darüber, mich zu sehen, und Jakob mochten sie sofort. Der Hof war von denen, die geblieben
waren, gut erhalten worden. Jene, die nach Uppsala gegangen waren, erzählten von einer freien und christlichen Studentenverbindung. Ich schwieg.
    Jakobs Schwester im Rollstuhl umarmte mich wie eine Schwester und schrieb ein Hochzeitslied in Dur. Wohin ihre Beine sie getragen hätten, wenn sie hätte gehen können, kann ich mir nur ausmalen. Jetzt bewegte sie sich in Wörtern und Tönen. Sie wurde zu einer guten Freundin, deren Kraft und Trost mir halfen, die Stunden zu überleben, in denen ich am liebsten aufgegeben hätte.
    Lea und Ruben kamen nicht zur Hochzeit. Nur wenige Wochen nach unserer Rückkehr nach Göteborg verschwanden sie. Ruben wurde von seinem Vater enterbt und zur Persona non grata erklärt, was ihm »verdammt egal« war. Carl Otto versuchte, von seinem Verhältnis mit Lea zu berichten, aber Ruben mochte es einfach nicht glauben. Dann gingen sie fort, aber nicht nach Amerika, sondern nach Afrika, in die Mission. Nach Mombasa. Sie trotzten dem Krieg und reisten in elenden Zügen und Viehwagen, eine Reise, die die pure Hölle gewesen sein muss, ihnen aber nicht schlimmer vorkam als das, was sie hinter sich zurückließen.
    Ich hatte Lea das Versprechen abgenommen, zu schreiben. Sie

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