Der geheime Brief
sie wolle Soldatin werden. Eine Soldatin des Heils. Die die Uniform anzog und erklärte, Gott weise ihr die Richtung. Die in fremden Ländern predigte, mit ihrem Ruben als Gefährten an ihrer Seite, der von den Konventionen, auch in Liebesdingen, befreit worden war. Anfangs freute er sich über die Revolution in Russland und den Aufruhr der Roten in Finnland, war aber bald vom Nachbeben entsetzt. Er gab den Kampf für die Rechte der Arbeiter auf, um statt dessen für ihre Seelen zu sorgen. Ruben und Lea waren miteinander glücklicher als viele sexuell verbundene Paare. Als Ruben in China erschossen wurde, nahm er ein Stück von Leas Seele mit, das sie niemals zurückbekommen sollte. So schilderte sie es mir.
Wir hatten Hunger und Verlust geteilt und waren füreinander da. Ohne Lea wäre das alles nicht geschehen. Das sagte auch Direktor Carl Otto, als er mich ein Jahr später besuchte.
Ich habe sie geliebt.
Und ich sah einen Mann, der alt geworden war, sah die Hoffnungslosigkeit in seiner Haltung und eine Seele, die die Lust verloren hatte. Er wollte wissen, wo sie sich aufhielten, um die Rückkehr zu befehlen oder zu erflehen. Ich antwortete, sie hätten sich dafür entschieden, Schweden zu verlassen, versicherte aber, dass sie noch lebten, wenn auch unter armseligen Verhältnissen. Carl Otto lief rot an und antwortete, wenn das eine versteckte Bitte um Geld sein sollte, dann hätten wir uns verrechnet. Wer sich für die Flucht entschieden habe, solle gefälligst sein eigenes Brot verdienen. Ich antwortete, Lea habe nicht einmal angedeutet, dass sie Hilfe wolle. Aber sie habe ihr Kind geboren, es sei ein gesunder Junge, der meinem eigenen durchaus ähnlich sehe, und wir beide wüssten etwas über diesen
Sohn, das vielen anderen unbekannt sei. Carl Otto könne stolz sein. Lea und ich würden niemals vergessen, was er für uns getan habe. Du warst trotz allem ein redlicher Mann, Carl Otto. So sahen wir das.
Das sagte ich und bekam ein Lächeln als Antwort. Er ging, und ob er das Kind vermisste, das vielleicht seins war, das weiß ich nicht. Lea erwähnte es nie, aber ich glaube doch, dass Carl Otto seine Pflicht getan hat. Ich werde ihn fragen, wenn wir uns im Jenseits begegnen. Falls wir uns begegnen. Ich weiß so wenig. Über Leben und Tod, Recht und Unrecht. Über Freundschaft und Liebe und das, was sich dazwischendrängt. Über Anton.
Er wurde wie die Erbsünde zu einem Punkt im Herzen, zu klein für das ungeübte Auge, aber doch vorhanden. Er wurde zu einer Frage von Wahrheit und Lüge, zu einem Staunen über die Beschaffenheit des Menschen. Er, der Silber stehlen wollte und es dann von Mutter zum Geschenk erhielt, der für die Gerechtigkeit gekämpft hatte und getötet wurde, der mit schönen Frauen tanzte und über eine bessere Welt schrieb, er, der so unwägbar war.
Wenn ich mich an ihn zu erinnern versuche, weicht er zurück. Wie Sand rinnen mir unsere gemeinsamen Stunden durch die Finger, und es kommt vor, dass ich zweifle. Dann verfluche ich mich selbst. Ich glaube, dass ich ihn bis heute geliebt habe. Ab und zu zerriss das Sehnen, und in meinen Träumen kam die Wärme, die mich heiß und fügsam machte. Aus der Liebe wurde eine Art inneres Erröten, und damit konnte ich leben. So habe ich es Jakob beschrieben, aber er glaubte mir nie.
Wir gingen zu Antons Zimmer in Göteborg, Jakob und ich, aber das war von der Polizei und von Dieben ausgeräumt worden. Wir fanden nur einige Kleidungsstücke, ein Tintenfass, die
Fragmente eines Manuskripts und seltsamerweise das Banjo. Wir behielten einiges und gaben den Rest fort. Viele Jahre später, bevor sie mich zum Krankenhaus fuhren, verbrannte ich Antons alte Briefe und noch andere Dinge. Seine Worte gehen niemanden etwas an. Sie waren für mich bestimmt, und bei mir sollen sie bleiben. Niemand soll Fragen stellen, wenn ich nicht mehr da bin.
Bald werde ich Nahrung erhalten, die ich nicht vorhabe zu essen, aber bis dahin muss ich noch etwas erledigen. Aufstehen tut weh, aber ich stütze mich auf das Bett und gehe zum Schrank. Suche in meiner Handtasche, finde die Tüte mit dem Parfüm und nehme das heraus, was ganz unten liegt. Den Ring. E. Seeger. Ich nehme ihn mit zum Bett, drehe ihn um und sehe, wie das Gelbgold den kranken Schein der Lampe wiedergibt.
Warum habe ich ihn an mich genommen? Das habe ich mich im Laufe der Jahre öfters gefragt. Ursprünglich wollte ich ihn als Beweismittel aus dem Weg schaffen. Und als ich vor dem Grab auf Koön stand,
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