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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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überhaupt nicht zueinander!«
    Warum hatte sie sich nicht gewehrt? Sie wollte als tolerant gelten. Wenn eine Frau ihren Mann liebte, ein gesundes Kind hatte und erfolgreich in ihrem Traumberuf war, musste sie auch einiges aushalten können. Aber im Grunde genommen war es nicht leicht, das alles einfach so hinzunehmen. Es hatte jedes Mal wehgetan. Sie war unehrlich gegen sich und die anderen gewesen, als sie nicht ihre Grenzen aufgezeigt hatte. Vielleicht hatte der Brief sie deshalb so fasziniert. Denn er berichtete von einer Gemeinschaft zweier Frauen, ihrer Großmutter und deren unbekannter Freundin.
    Als sie vor dem Haus vorfuhr, ging die Tür auf, als sei sie schon erwartet worden. Eine vertrauenerweckende Geste, wie die Hand, die ihr zum Gruß hingestreckt wurde.
    »Sara. Willkommen. Wir gehen gleich ins Haus, ja? Den Garten kann ich dir morgen zeigen, wenn es hell ist. Falls dich das interessiert.«
    Sara trug ihre dunklen Haare im Nacken zu einem schlichten Knoten hochgesteckt. Sie hatte braune Augen, war etwas größer als Inga und wirkte gut trainiert. Zu Jeans trug sie einen dünnen kurzärmeligen Pullover. Ihre Haut hatte einen leicht olivenbraunen Teint.

    Sara Moréus führte Inga ins Haus, wo eine Menge gepflegter Pflanzen in Fensternischen und auf Tischen standen. Das Haus war schlicht und rustikal möbliert, und auf einer Fensterbank saß eine Katze und betrachtete die Geschehnisse. Macavity. The mystery cat. Aber es war die Katzenhure, die am Ende in den Himmel kam. Cats , eines der vielen Musicals, die sie zusammen gesehen hatten. Mårten besorgte immer die Eintrittskarten. Seit seinem Tod hatte sie kein einziges mehr besucht.
    Der Tisch in der Küche war für zwei gedeckt.
    »Frag mich nicht, wie es passiert ist. Aber als ich wusste, dass du kommen würdest, hatte ich einen Kreativitätsschub, und der hat mir die Zeit zum Backen beschert. Du trinkst doch sicher einen Tee?«
    »Schrecklich gern, danke.«
    Sara Moréus zog einen flauschigen Teewärmer von der Kanne.
    »Den hab ich übrigens von meiner Oma geerbt. Ich glaube, er ist mit Daunen gefüttert, jedenfalls hält er die Wärme auf unglaubliche Weise. Leider kann ich nicht gut genug sticken, um die Verzierungen zu reparieren. Bitte sehr.«
    Das Brot war warm, die Butter schmolz beim Schmieren. Sara Moréus goss Tee in die beiden Tassen.
    »Ich war ja so überrascht, als du angerufen hast«, sagte sie nach einer Weile. »Aber ich habe inzwischen darüber nachgedacht und freue mich, dass du hier bist. Das ist das Mindeste, was ich für meine Großmutter tun kann. Jemanden zu treffen, der mehr über sie wissen will.«
    »Du standest ihr nahe.«
    »Sie war ein fester Punkt im Dasein. Mein Vater und ich hatten in all den Jahren nur ab und zu Kontakt. Er war ungeheuer aktiv und reiste um die Welt, um sich nicht genauer bezeichneten Geschäften zu widmen. Alle Arten von Geschäften, sollte
ich vielleicht noch hinzufügen. Ich habe mehr Halbgeschwister, als ich mir merken kann. Viele von ihnen aus dem Ausland. Meine Mutter kam aus der Türkei. Sie wohnte hier noch eine Weile meistens allein, da mein Vater sie kurz nach meiner Geburt verlassen hatte. Eigentlich war es kein Wunder, dass die Sache nicht gut ging. Bei meiner Geburt war sie siebenundzwanzig, zwanzig Jahre älter. Meine Mutter ging tagsüber putzen und nachts tanzen. Jetzt lebt sie wieder in der Türkei. Sie war nicht besonders fürsorglich. Ich sage immer, sie war nur einmal eine gute Mutter, nämlich als sie stundenlang vor dem Bücherregal saß, um meinen entlaufenen Hamster wieder einzufangen. Immerhin hat sie mir eine Art Überlebensinstinkt vererbt. Wir sehen uns manchmal. Mein Vater ist seit einigen Jahren tot, aber ich kann nicht behaupten, dass er mir fehlt. Man kann schwerlich um jemanden trauern, den man nicht gekannt hat.«
    Inga dachte, dass die rustikalen Möbel etwas mit der Großmutter zu tun haben könnten und dass sie etliche Gemeinsamkeiten mit Sara Moréus hatte. Beide waren als Jugendliche von ihren Müttern verlassen worden.
    »Meine Eltern haben sich scheiden lassen, als ich elf war. In diesem Jahr ist auch mein Großvater gestorben. Meine Mutter ging in die USA. Ich kann mir also vorstellen, wie das für dich war. Aber ich bin bei meinem Vater aufgewachsen. Als Alleinerziehender war er großartig.«
    »Meine Großmutter wurde für mich in gewisser Hinsicht zu einem Elternteil«, sagte Sara Moréus. »Sie war oft zu Besuch bei uns, aber nach meiner Geburt lebte sie

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