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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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einander gekannt haben? Vermutlich wohnten sie zusammen und hatten im selben Haus Dienst. Wie lange war Lea dort angestellt?«
    »Nicht sehr lange, glaube ich. Vielleicht ein Jahr. Dann ging sie zusammen mit einem der Söhne des Hauses auf Missionsreise. Wenn der Brief von ihr stammt, und davon können wir ausgehen, dann war das 1916, also mitten im Krieg. Mit nur achtzehn Jahren.«
    Inga wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger. Die Katze, die sich zu ihren Füßen hingelegt hatte, erhob sich mit einem Fauchen und verließ das Zimmer.
    »Mit einem der Söhne?«
    Sara Moréus lächelte. Ihre Hände wirkten älter als ihr restlicher Körper. Trockene Haut, gesprungene Nägel. Es war sichtbar, dass sie mit den Händen arbeitete. Dass sie Unkraut packte und ausriss, dass sie tief grub, um Wurzeln zu lösen und neu zu pflanzen.
    »Wie das genau vor sich ging, wollte Oma nie so richtig erzählen. Aber er war wohl ein religiöser Grübler ohne besonderes
Interesse an Frauen. Aber das hat Großmutter ja offenbar in Ordnung gebracht. Sie meinte, dass nur die Hände der richtigen Frau vonnöten seien, und schon erhebe sich noch der trotzigste Schwanz stolz im Sturm. Es scheint geklappt zu haben. Sie wurde schließlich schwanger. Vielleicht sind sie deshalb so eilig in die Mission aufgebrochen. Auch wenn es damals sicher nicht selten vorkam, dass die Dienstmädchen vom Herrn oder Sohn des Hauses geschwängert wurden. Dieser hier stand immerhin zu seiner Verantwortung. Es blieb auch bei dem einen Kind. Meinen Großvater habe ich übrigens niemals kennengelernt. Er wurde 1946 im chinesischen Bürgerkrieg erschossen.«
    »Das hat meine Verwandte erwähnt. Und das bestätigt, dass unsere Großmütter befreundet waren. Wie schrecklich.«
    »Es war vermutlich ein Irrläufer. Aber mein Großvater war mit einem englischen Offizier unterwegs.«
    Sara Moréus blätterte in den Briefen, die sie herausgesucht hatte. Inga hätte sie gern gelesen, wollte aber nicht darum bitten. Irgendetwas an dieser Geschichte schien nicht zu stimmen. Es tauchten immer mehr Geheimnisse auf, je länger sie darüber sprachen.
    »Wann hat Lea in der Mission aufgehört?«
    »Unmittelbar vor meiner Geburt versuchte sie, in Schweden wieder Fuß zu fassen. In den sechziger Jahren. Obwohl sie hier offenbar nie so ganz glücklich war. Ab und zu, wenn sie auf irgendeiner Infektionsabteilung lag und verwirrt war, schrie sie, sie müsse wieder in den Kampf ziehen. In den Krieg gegen den Krieg. Es war typisch für sie, dass sie nicht einmal dann Ruhe fand, wenn es ihr schlecht ging. Sie betrachtete sich als Soldatin, die gegen jedes Unrecht kämpfen musste. Sie war eine Heilsarmistin im wahrsten Sinne des Wortes. Hatte vor nichts Angst.«
    Es war eine seltsame Situation. Zwei einander fremde Frauen
redeten über ihre Großmütter, und sie hatte ihre eigene nie kennengelernt. Sie verspürte einen Stich über dem linken Auge, anschließend eine Andeutung von Kopfschmerzen, als Sara Moréus nun weitersprach.
    »Du fragst dich sicherlich, woher ich weiß, dass sie mit diesem feinen Göteborger durchgebrannt ist?«
    »Ich dachte, dass sie das erzählt hat.«
    »Nein, nicht direkt, auch wenn sie Andeutungen gemacht hat, die ich dann erst später begriffen habe. Sie hat nur erzählt, dass sie meinen Großvater in Göteborg kennengelernt hatte. Dass er in einem Schuhgeschäft arbeitete. Ich nahm an, er sei von so schlichter Herkunft wie sie. Sie sprach nicht oft über meinen Großvater, sagte eigentlich nur, dass er ein guter und lieber Mann gewesen sei, und ich stellte keine Fragen. Ich wollte ihr nicht wehtun. Aber dann kam der Brief vom Anwalt.«
    »Vom Anwalt?«
    Sara Moréus nickte.
    »Nur wenige Wochen nach Großmutters Tod bekam ich einen Brief von einem Anwalt namens Levander aus Göteborg. Das Schreiben war eigentlich nicht an mich gerichtet, sondern an meinen Vater. Aber ich nahm seine Post in Schweden entgegen und war bevollmächtigt, sie zu öffnen und zu lesen. In der Hinsicht war mein Vater nicht schwierig. In dem Brief stand, dass eine Anwaltskanzlei in Göteborg, Levander und Söhne, seit vielen Jahren eine bestimmte Summe Geldes verwaltete. Und dass dieses Geld dem erstgeborenen Sohn von Linnea Otto, geborene Moréus, ausgezahlt werden sollte. Oder, falls der nicht mehr am Leben war, der übrigen Verwandtschaft. - Ich sagte meinem Vater Bescheid. Er meinte, ich könne ja nach Göteborg fahren und diesen Judaslohn holen, wenn ich Lust dazu hätte. Er

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