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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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öfters für einige Zeit bei uns. Es ging ihr nicht mehr so gut, und ihr war wohl auch klar, dass meine Mutter es nicht leicht hatte. Ich mache ihr keine Vorwürfe, weil sie Schweden verlassen hat. Sie hatte einen Mann kennengelernt, der sie liebte. Und ich war doch längst
daran gewöhnt, allein zurechtzukommen. Ich war achtzehn, als sie gegangen ist. Aber entschuldige. Wir wollten ja über meine Großmutter reden.«
    »Du hast etwas darüber gesagt, dass du nicht sicher bist, wie sie wirklich hieß.«
    »Da habe ich wohl etwas übertrieben. Sie hieß Linnea. Aber wie gesagt, sie hat sich auch Lea genannt. Unmittelbar vor ihrem Tod hat sie immer wieder über Rakel fantasiert. Sie war wirklich ein Fixpunkt in ihrem Dasein. Aber es gab auch viel, das ich nicht über sie wusste.«
    »Was weißt du also?«
    »Darf ich den Brief lesen, den du erwähnt hast, ehe ich diese Frage beantworte?«
    Inga zog den Brief aus der Tasche. Sara Moréus nahm ihn entgegen und las ihn aufmerksam. Ab und zu lachte sie. Am Ende faltete sie die dünnen Blätter vorsichtig zusammen.
    »Das sieht wirklich so aus, als ob es von meiner Großmutter stammen könnte«, sagte sie dann. »Sie hat oft auf der Maschine geschrieben, und einige scharfe Formulierungen kommen mir bekannt vor. Sie hatte einen guten Draht zu Gott. Aber dieser Brief stammt von … 1916. Da war sie noch sehr jung. Es klingt fast wie einer der ersten Briefe, die sie überhaupt nach Hause geschickt hat. Warte einen Moment.«
    Sie stand vom Tisch auf und kam nach einer Weile mit einem Stapel Briefe zurück, die sie hastig durchblätterte. Der oberste war im Kongo abgestempelt.
    »Wie gesagt. Das hier muss ganz am Anfang gewesen sein, als sie gerade dort eingetroffen war. Und dann ist es doch nicht unmöglich, dass sie deiner Großmutter geschrieben hat. Die hieß Rakel, nicht wahr? Oma hat oft von ihrer Freundin Rakel erzählt, besonders als sie am Ende im Krankenhaus lag. Ihre Zwillingsschwester, wie sie sagte.«

    »Aber du hast diese Rakel niemals kennengelernt?«
    »Soviel ich weiß, war sie schon tot, als ich ihren Namen zum ersten Mal hörte.«
    »Meine Großmutter ist 1959 gestorben. Fast zeitgleich mit meiner Geburt.«
    »Siehst du. Das kann stimmen. Ich bin 1964 geboren.«
    Die Katze kam zur Tür herein. Inga bückte sich, um sie zu streicheln. Der Blick des Tieres wechselte von offener Feindseligkeit zu gnädiger Akzeptanz.
    »Dieses Haus hat meiner Großmutter gehört«, sagt Sara Moréus. »Sie hat es gekauft, um in Schweden eine Wohnung zu haben. Dann stand es in all den Jahren leer, in denen sie im Ausland war. Sie hat es niemals vermietet. Bei ihrem Tod war klar, dass ich es erben würde.«
    »Wann ist deine Großmutter gestorben?«
    »Vor fünfzehn Jahren. Damals habe ich ihren Mädchennamen angenommen. Moréus. Sie wurde vierundneunzig. Sie hatte ein gutes Herz. Im doppelten Sinn.« »Würdest du ein wenig von ihr erzählen?« Aber erwähne nicht das Herz, das vierundneunzig Jahre lang geschlagen hat.
    »Meine Großmutter stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Ich glaube, sie waren sieben oder acht Geschwister, und ihre Eltern mussten sehr hart arbeiten. Sie besaßen ein kleines Grundstück, doch davon konnten sie nicht leben. Mein Urgroßvater war Arzt, aber aus irgendeinem Grund durfte er diesen Beruf nicht ausüben. Großmutter war gut in der Schule, zusätzlich bekam sie beim Pfarrer noch Unterricht. Er hatte sie offenbar lieb gewonnen. Vielleicht ein wenig mehr, als es schicklich war, wenn ich die Andeutungen meiner Oma richtig verstanden habe. Für den weiteren Schulbesuch war dann aber kein Geld mehr da. Stattdessen wurde meine Großmutter nach Göteborg geschickt.

    Sie kam in die Dienste einer feinen Familie, aber es ging ihr da wohl nicht gut. Sie wohnte nicht bei diesen Leuten, sondern in einer ziemlich elenden Kammer. Dort hat sie Rakel kennengelernt. Das weiß ich sicher, denn sie sagte immer, ohne Rakel hätte sie nicht überlebt. Die Familie hieß Otto, der Mann handelte mit Schuhen, möglicherweise auch mit Feinkost. Als Großmutter krank war, erzählte sie in ihren Fieberphantasien davon, dass sie Kaffee verkaufte. Ehrlich gesagt, dachte ich immer, dass sie alles durcheinanderwarf. Oder dass sie für zwei Familien gearbeitet hat.«
    »Ich bin ziemlich sicher, dass auch meine Großmutter als junges Mädchen in Göteborg gearbeitet hat. Dort hat sie meinen Großvater kennengelernt. Das stärkt doch sicher die Theorie, dass unsere Großmütter

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