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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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die ganze Zeit festgehalten. Jetzt befreite ich mich aus seinem Griff, und er folgte mir. Schweigend näherten wir uns Masthugget und stiegen den Hang hoch. Erst, als wir fast bei mir zu Hause angekommen waren, sagte Anton wieder etwas.
    »Ob du mir glaubst oder nicht. Unsere Begegnung im Gebetssaal ist das Beste, das mir je passiert ist. Der Glaube, den ich damals versucht habe, dir zu beschreiben, ehe deine Mutter mir die Leuchter gegeben hat, den habe ich jetzt. Ja, ich bin wohl das, was man bekehrt nennt.«
    »Spielst du noch immer?«

    »Natürlich. Irgendwann bringe ich mal das Banjo mit und spiele für dich. Wenn du mich lässt.«
    »Was wurde aus dem Mädchen, das du so geliebt hast?«
    »Welchem Mädchen?«
    »Du hast eine erwähnt, die du nicht vergessen konntest.«
    »Daran kann ich mich nicht erinnern. Wenn ich eine nicht vergessen kann, dann glaube ich, dass du das bist.«
    »Jämmerlich, Läuse husten zu sehen. Eben hast du mich noch als Kind bezeichnet.«
    »Vielleicht gerade deshalb. Weil du so jung warst. Aber die Ottosche Diele war auch nicht der richtige Ort für Geständnisse. «
    Ich schaute auf meine Stiefel und sah, dass ein Absatz sich gelockert hatte. Die Pflastersteine hatten nur zerkratztes Leder übrig gelassen.
    »Und der Ring?«
    »Den habe ich mir während des Studiums zugelegt. Als wir eine christliche Studentenverbindung gegründet haben.«
    »Ich weiß noch immer nicht, ob ich dir glauben kann.«
    Ich stolperte wieder, und Anton packte mich und zog mich mit sich. Seine Worte surrten durch meinem Kopf wie träge Stallfliegen. Mutter, die Silberleuchter verschenkte, Anton, der hergekommen war, um sie mir zu geben, der aber nicht wusste, wo ich arbeitete. Anton, der sich an mich erinnerte, der aber nicht begriff, warum sein wortloses Verschwinden mich so verletzt hatte.
    Und Lea.
    Besorgt schaute ich zu unserem Fenster hoch und glaubte, einen schwachen Lichtschein wahrzunehmen.
    »Geh nicht, Rakel. Darf ich mit hinaufkommen? Ich habe so viel zu erzählen. Über mein Studium. Über meine Gedanken. Du …«

    »Ich muss sehen, ob Lea oben ist.«
    »Wenn sie mit Ruben gegangen ist, dann kann ihr nichts passiert sein. Der ist nicht so.«
    »Wie meinst du das?«
    »Dass er niemals einem Mädchen etwas tun würde. Und schon gar keiner wie Lea.«
    Ich hatte wieder den Duft in der Nase, der seiner war, und der jetzt mit feuchter Luft und der Wärme nach der Schlägerei vermischt war.
    »Weißt du überhaupt, dass du noch schöner geworden bist?«
    In einem schrecklichen Moment glaubte ich, dass er mich küssen wollte. Ich versuchte, mich loszureißen, und nun hörten wir die Stimme.
    »Belästigt er Sie?«
    Wir fuhren beide zu dem Mann herum, der soeben den Hang hochgekommen war. Erst, als er näherkam, sah ich seinen blonden Schopf. Jakob aus dem Zug.
    In dem Moment, als Jakob das gesagt hatte, sah ich das Blut an Antons Fingerknöcheln, und dachte, dass ich diese Farbe niemals vergessen würde. Blutrot würde mich für immer an Schlägereien und Opfer erinnern.
    Jetzt ist mir mein eigenes Blut zum Feind geworden. Bösartige Materie zersetzt langsam die gesunde. Ab und zu glaube ich, dass Gedanken von gestern die Ereignisse von morgen verändern, dass alles zusammenhängt, dass es Ursache und Wirkung gibt. Aber eigentlich weiß ich mit jedem Tag, der vergeht, weniger.
    Aber der Frühling mit seinen Kohlmeisen ist schön.

     
    »Plötzlich sah ich im hinteren Teil des Schiffes, gegen das wir kämpften, einen Lichtschein, der immer größer wurde. Dieser Anblick hätte uns zutiefst berühren können, aber so konnten wir nicht denken. In einer gigantischen Rauchwolke schien sich das Fahrzeug von der Wasseroberfläche zu erheben. Es war in der Mitte zerbrochen, die Wrackteile flogen überall umher. Das ganze Bild wurde eingerahmt von einem blauroten Feuerschein.«
     
    Richard Foerster, Artillerieoffizier auf dem deutschen Panzerkreuzer Seydlitz

Kapitel 10
2007
    Der Regen hatte sie abgekühlt, und sie war sehr froh, wieder ins Warme zu kommen. Sie zog die Strickjacke enger um sich und entdeckte ein Loch im Ärmel. Aber das schien der Anwalt Gösta Levander nicht zu bemerken. Er war die Freundlichkeit selbst, als er sie mit Tee und einem Stück Minzschokolade empfing. Er erklärte, dass er auch als Pensionär bisweilen noch ins Büro komme, »um den Jüngeren zu helfen, ob die das nun wollen oder nicht«.
    Anfangs konnte er ihr nicht sehr viel Neues sagen. Abgesehen davon, dass er alles

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