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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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ablegte, war ich diejenige, die ein Kompliment bekam.
    »Du bist wie ein Weizenbrötchen, Rakel. Kein Wunder, dass sie überall hineinbeißen wollen. Wenn du dich für Jakob entscheidest, bekommst du ein Leben in Geborgenheit. Sicher wird das manchmal langweilig für dich werden, aber wenn man die Matratze in Ruhe stopft, kann es unter der Decke Überraschungen geben. Es ist gut, dass wir jetzt zusammen Geschäfte machen. Es ist Zeit, für die Zukunft zu sparen. Denn es wird kein schnelles Kriegsende geben. Ruben hat mir die Lage erklärt, und den Rest kann ich mir selbst denken. Außerdem wird in Russland bald etwas passieren. Ruben verfügt über entsprechende Informationen. Wenn die Revolution ausbricht, will ich nicht auf der Zuschauerbank sitzen, Rakel. Dann ist es an der Zeit, dorthin zu fahren, wo man sich nützlicher machen kann.«
    »Wohin denn?«
    Lea legte sich ins Bett und zog mich an sich. Sie kitzelte mich, drückte ihr Gesicht in meine Nackenhaare und schlang die Arme um meine Taille.
    »Ich denke an Amerika«, sagte sie. »Was hier nicht geschieht, geschieht dort. Frauen und Arme haben dort andere Rechte. Außerdem ist es weit von Europa entfernt, und ich sage dir, Rakel, wir werden hier keine Ruhe haben, solange wir leben.«
    »Und Ruben?«
    »Du hast Ruben erwähnt, nicht ich. Ruben ist ein guter Kamerad und sonst nichts. Das Bett werde ich nur mit anderen Jungfrauen wie dir teilen. Weichen und unschuldigen Jungfrauen, die nach dem Gras im Frühling duften. Also merk dir: Ich bin wie jeder Kerl.«
    Dann schlief sie ein. Glaubte ich. Bis sie mir mit schlaftrunkener Stimme ins Ohr flüsterte:

    »Anton ist wie die Revolution, Rakel. Wenn du mit Jakob nicht zufrieden bist, dann solltest du die Tasche packen und dich rechtzeitig in Sicherheit bringen.«
    Und da lag ich. In der Stille hörte ich vertraute Geräusche von zuhause und dachte an meine Brüder. Mit dem Kaffeegeld würde ich allerlei nach Hause schicken können. Das würde Mutter das Leben erleichtern, vielleicht könnte Markus die Universität besuchen. Oder ich selbst?
     
    Einige Tage später war es so weit. Jakob hatte sich mit seinen Kollegen geeinigt. Wir hatten uns für Dienstagnacht entschieden, wenn es in der Fabrik und in der Stadt ruhig war. Lea hatte sich den Schlüssel zum Schuppen gesichert, indem sie einfach fragte, wo er hing. Sie hatte in der Fabrik jetzt eine so wichtige Stellung, dass sie wissen musste, wo alles untergebracht war. Ich hatte nur einmal im Laden und in der Fabrik vorbeigeschaut und Lea dort in dem Kleid gesehen, das der Direktor ihr gekauft hatte, weil sie ja repräsentativ aussehen musste. Die Verkäuferinnen behandelten sie mit Respekt, und die Leute in der Fabrik mit Sympathie. Direktor Otto war bei meinem Besuch nicht dort gewesen, aber Ruben saß an seiner Buchführung. Alles strahlte eine Ordnung aus, die in krassem Widerspruch zu diesen Kriegszeiten stand.
    In der Nacht gingen wir los, eingehüllt in unsere Mäntel und die Aprildunkelheit. Wir warteten vor einer Baustelle, sahen fröstelnde Existenzen, die in Mülltonnen wühlten, rochen den Duft der Dampfbäckerei und erreichten schließlich Ottos Fabrikkomplex. Lea lief um das Haus herum und führte uns zum Schuppen. Sie zog den Schlüssel hervor und ließ mich eintreten. Im Licht ihrer Petroleumlampe schaute ich mich um.
    Regal neben Regal, gefüllt mit Leder, Stoff, Garn und Werkzeug. Es roch nach Häuten und Schmieröl, wie in einem Stall
ohne Mist. Lange Arbeitstische an den Seiten. Ich lief in den Gängen hin und her und sah, wie braunes, graues, schwarzes und weißes Leder in Regalen und Rollen um den Platz wetteiferte. Vorsichtig berührte ich einen Zipfel. Das Leder war weich und biegsam, und ich fragte mich, wie es sich wohl am Spann anfühlen würde. Lea hatte inzwischen die Ecke inspiziert, wo sie den Kaffee lagern wollte. Der Winkel wurde als Müllablageplatz genutzt. Mit den Abfällen ließen sich die Säcke bedecken. Das würde sie vor neugierigen Blicken schützen und zudem den Kaffeeduft ersticken.
    Kurz darauf hörten wir draußen Geräusche und gingen zur Tür. Vor dem Haus stand ein Pferd vor einem Karren und stampfte im Lehm. Jakob sprang vom Kutschbock, schob einen Bremsklotz vor ein Vorderrad und hängte dem Pferd einen Hafersack um den Hals. Er flüsterte, sie hätten für den Anfang ungefähr ein Dutzend Säcke mitgebracht, alles sei plangemäß verlaufen. Sein Kollege werde gegen eine Beteiligung mitmachen, er sei

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