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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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Lea sich erst einmal entschlossen hatte.

    Ich war müde vom Hin- und Herlaufen zwischen Küche und Salon der Familie Otto, aber zwischen den Regalen im Lager teilten wir Käse und Brot. Ich war zu erschöpft, um nervös zu sein, und konnte nur nicken, als Lea erklärte, dass unser Kunde um ein Uhr auftauchen würde, wenn alles gut ginge, um dann schnell wieder zu verschwinden.
    »Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten, Rakel. Ruben kennt ihn, und es ist ein Mann, der es sich mit Familie Otto nicht verderben will. Er überprüft die Ware, und damit ist der Fall erledigt.«
    Kaum hatte sie das gesagt, als es auch schon an die Tür klopfte. Draußen stand ein stattlicher Herr im Paletot, und dahinter ahnte ich einen Wagen. Wir hatten nichts gehört, und ich dachte: Dieser Mann hat nicht nur seine Geschäfte im Griff, sondern auch seine Pferde. Lea bat ihn herein und schloss die Tür. Sie hielt ihm die Hand hin, und der Mann nahm sie, zuerst zögernd, dann umso entschlossener. Er trug unter dem Mantel Hemd und Weste, ein Siegelring bohrte sich in seinen Finger. Aber er schaute auch mir ins Gesicht, hob den Hut und brachte sein Staunen darüber zum Ausdruck, womit Frauen sich neuerdings befassten. Das zeige, in welch seltsamen Zeiten man lebe.
    Lea ließ sich nicht zu einer Antwort herab. Ich versuchte, sie mit dem Blick des Fremden zu sehen, und sah ihre üppige Mähne unter dem Hut, die mitten hindurchgesteckte Hutnadel und das taubengraue Kleid mit dem Spitzenkragen. Zum ersten Mal sah ich, dass sie als Frau mit Macht erscheinen konnte und dass nichts mehr die Armut verriet, die sie hinter sich gelassen hatte. Ich zog das Tuch, das sie mir gegeben hatte, fester um die Schultern, um von meiner Dienstmädchentracht abzulenken.
    Wir begaben uns zum Kaffeelager, wo Lea und ich die Waren bereits freigelegt hatten. Der Kunde, der sich mit »Namen brauchen wir nicht« vorgestellt hatte, ging zu einem der Säcke,
öffnete ihn und schob die Hand hinein. Er zog eine Handvoll Bohnen heraus, musterte sie ausgiebig, biss in eine und kaute darauf herum. Es knackte laut, und wir warteten atemlos ab. Der Mann schluckte die zerkaute Bohne hinunter und lachte.
    »Erstklassige Ware«, entschied er. »Natürlich bin ich bereit, das gesamte Lager zu übernehmen. Und auch noch mehr, wenn sich das machen lässt. Die Idioten, die sagen, dass der Krieg noch in diesem Jahr zu Ende geht, sollen solange in den normalen Läden einkaufen.«
    Dann nannte er seinen Preis. Sechs Kronen das Kilo sei sehr viel, und wenn es um den Öre ging, sei er bereit, aufzurunden. Für diese Summe würden alle Beteiligten ihren Anteil erhalten, und niemand hätte das Gefühl, die anderen auszunutzen. Wenn die Damen nichts dagegen hätten, könne man sofort mit dem Aufladen beginnen, ehe das Morgenlicht dabei störte.
    Vielleicht war es die ausgestreckte Hand. Vielleicht war es das »Damen«, das respektvoll klingen sollte, aber wie ein herablassendes Schulterklopfen wirkte. Lea lachte ihm voll ins Gesicht und sagte, acht Kronen das Kilo sei ihr letztes Angebot, und ansonsten könne er sich dort kratzen, wo man es merkte. Sie könne da einige Körperteile empfehlen, wenn er nicht so bewandert sei.
    Der Mann lief rot an. Er lachte, nicht mehr so jovial, und sagte, selbst für elegante Frauen müsse es ja wohl Grenzen geben. Lea bat ihn zu vergessen, was sein Gegenüber unter ihrer Kleidung habe. Hier gehe es um Geschäfte und sonst gar nichts, und acht Kronen das Kilo seien ein absolut redlicher Preis, der nichts mit Kleidern oder Hosen zu tun habe. Das wisse er sehr gut. Wenn nicht, dann wüssten es genug andere.
    Der Kunde öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder. In diesem Moment hörten wir draußen eins der Pferde
wiehern. Lea bat mich nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. Ich lief los und hörte hinter mir, wie Lea und der Kunde lauter wurden und wie Lea nach einer Weile mit dem Mann in den hinteren Teil des Lagers ging, vermutlich damit die Diskussion nicht so gut zu hören wäre.
    Auf dem Hof war alles ruhig. Ich ging zu dem Pferd und streichelte seinen Hals. Es drehte mir den Kopf zu und stupste meine Schulter an. Ein Stück weiter entfernt hörte ich ein leises Plätschern. Der Kutscher verrichtete dort seine Bedürfnisse, und das Pferd hatte vielleicht gewiehert, als er verschwand. Irgendwo war Jakob, und ich konnte nur hoffen, dass er sich gut genug versteckt hatte.
    Die Nacht war jetzt schwarz, der Boden glitschig, und die Mähne des Pferdes

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