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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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steif unter meinen Fingern. Ich sehnte mich plötzlich nach dem Hof, hätte gern gewusst, ob es grün wurde, ob mit den Feldern alles in Ordnung war, ob es im Gebetssaal zu Bekehrungen kam. Ich schüttelte den Kopf, ging zurück ins Lager und glaubte, ein leises Wimmern zu hören, sah aber weder Lea noch den Mann. Ich musterte die Lederballen und spürte, dass ich fortwollte. Wir dürften das Glück nicht herausfordern. Ich hatte mich selbst betrogen, indem ich die Furchtlose spielte.
    Dann hörte ich Schritte. Lea und unser Kunde kamen auf uns zu. Lea sah gelassen aus, der Mann ein wenig eingesunken. Seine Stirn war schweißnass, aber er richtete sich auf, als er erklärte, dass er acht Kronen das Kilo zahlen und nun den Kutscher holen und aufladen werde. Je schneller die Sache überstanden sei, desto besser. Aber man werde sich ja wiedersehen, wie abgemacht. Nächste Woche, selber Ort, selbe Zeit.
    Eine halbe Stunde später waren sie fertig. Die Säcke waren verschwunden und die Abfälle an ihrem alten Ablageplatz. Lea lehnte an einem Arbeitstisch und zählte die Geldscheine. Dann
umarmte sie mich und sagte: »Jetzt gehen wir nach Hause und feiern, Rakel. Das können wir uns leisten.«
    »Sag mir zuerst, wieso er nachgegeben hat.«
    »Wie meinst du das?«
    Ich dachte, es müsse ja wohl Grenzen geben.
    »Mich hat noch niemand als dumm bezeichnet. Du wolltest einen viel höheren Preis, als er zu bezahlen bereit war, und du hast ihn dazu gebracht, seine Meinung zu ändern. Ich will nichts glauben, ehe ich es weiß.«
    »Ganz ruhig, Rakel. So einfach war das.«
    Langsam stellte sie die Lampe auf den Boden. Im Lichtschein sah ich, dass sie bildschöne Stiefel trug. Sie waren schwarz wie die Alltagsfron, aber als sie die Röcke hob, erblickte ich Knöpfe, Samt und Bänder. Und dann sah ich den Geldschein, der aus dem Strumpf lugte, und die kleine Bissspur daneben.
    »Du weißt, was ich gesagt habe, Rakel. Über Männer. Sie sind wie Hunde. Wedeln mit dem, was sie haben, wenn sie einen fleischigen Knochen sehen. Ich weiß, was ich habe, und im Moment behalte ich, was mir gehört. Aber wenn man einen Knochen zu viel hat und wenn es sich lohnt, kann man feilschen.«

Kapitel 13
1959
    Wenn ich an jene Zeit denke, dann habe ich ein gutes Gefühl. Ich empfinde Stolz auf mich selbst. Diese ersten Kaffeesäcke öffneten den Weg in ein anderes Leben, und alle moralischen Bedenken verschwanden, als das Bündel von Geldscheinen unter der Matratze immer dicker wurde. Lea fragte nach einer Weile, ob wir zur Bank gehen sollten. Das Haus, in dem wir wohnten, war eine elende Holzbaracke, und wenn irgendwo ein Feuer ausbräche, würde nichts übrig bleiben. Ich wandte ein, dass Banknoten zu viel Aufmerksamkeit erregten. Wenn uns niemand bestahl oder anzeigte, dann würde uns wohl niemals etwas passieren. Lea gab nach und stellte fest, sie habe ja immer schon gewusst, dass unter meiner blonden Haarkrone Verstand wohnte.
    Während der Krieg weitertobte und als Nächstes der Zucker rationiert werden sollte, konnten wir die Nachbarn zum Essen einladen und ihnen das zurückgeben, was wir bei unserem Einzug bekommen hatten. Da sie keine anderen Schiffe mehr hatten, schickten die Deutschen Luxuskreuzer, um aus Luleå das kostbare Erz zu holen. Die Zeitungen veröffentlichen Rezepte für Butter- und Sardellenersatz. Die Engländer setzten neue Panzer ein, die das Kriegsgeschick entscheiden sollten, obwohl mehrere davon nicht funktionierten. Und niemand konnte ahnen, was ein unbarmherziger Winter aus dem Stellungskrieg
machen würde. Das Grauen in den Schützengräben überstieg alles, was ein Mensch sich vorstellen konnte. Ich kann es mir vorstellen, ich brauche nur die Augen zu schließen.
    Aber damals, in den hellen Frühlingsmonaten, waren wir unbedarft genug, um tagsüber zu arbeiten, nachts unsere Geschäfte abzuwickeln und zwischendurch zu tanzen. Wir hatten alle das Gefühl, dass Krieg und Leben uns etwas schuldeten. Ich konnte Betten machen und Essen servieren, mit Signe scherzen und Amanda Ottos Predigten über ihre angebliche Wohltätigkeit ertragen, da ich wusste, dass in dieser Nacht weitere Waren den Besitzer wechseln würden und dass ich Geld nach Hause schicken könnte. Ich erlaubte mir endlich, Heimweh zu haben, und ich konnte, mit gefülltem Magen, vom Hunger erzählen. Ich konnte auch daran denken, zu Besuch nach Hause zu fahren oder meine Familie nach Göteborg einzuladen. Jetzt gab es Mittel, um eine Reise zu bezahlen, und

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