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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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unterstützte, während Anton behauptete, einen Vorschuss auf sein Werk erhalten zu haben. Ruben und Anton trafen sich offenbar täglich, besuchten Veranstaltungen, kirchliche und sozialistische, und diskutierten zwischendurch. Ab und zu ging Lea mit. Anschließend sprach sie zu Hause über das Frauenstimmrecht oder einen geplanten Interessenverband der Schuhproduzenten. Dass Carl Otto ihr das erlaubte und ihr überhaupt solche Befugnisse einräumte, blieb für mich lange Zeit ein Rätsel.
    Ich konnte mir Anton weiterhin nicht aus dem Herzen reißen, aber ich unterdrückte meine Gefühle. Er behandelte mich und Lea gleich, lachte mit uns und hörte interessiert zu. Ab und zu wandte ich den Kopf und sah, dass er mich anschaute, aber ich konnte nicht ergründen, warum, und er sagte nichts Privates mehr. Oft musterte ich seine Hände, dabei wurde mir warm. Aber ich dachte, wie schon einige Male zuvor, dass ich für ihn Margarine gewesen sei, als es keine Butter gab. Als Jakob eines Abends vorbeikam und Eintrittskarten für ein Lustspiel mitbrachte, nahm ich dankend an und freute mich über diese Einladung.
    Wir gingen ins Freilichttheater Slottsskogen und sahen »Der Bezwinger des Bösen«. Das lieferte uns Gesprächsstoff für den Rest des Abends. Jakobs Ansichten über Bosheit und Güte waren klar und eindeutig. Man blieb ehrlich und half denen, die schwächer waren. Geistlicher zu werden, wie Anton mit seinem Theologiestudium, oder in mystischen Begriffen zu denken wie Ruben, das war nichts für ihn. Mein Verhalten im Zug, als ich mein Essen mit ihm geteilt hatte, das zählte. Endlich konnte ich ihn fragen:
    »Du warst damals sicher ausgehungert?«
    »Ich wollte nur einmal am Tag etwas essen, bis ich diesen
Rollstuhl hätte. Es ging. Aber meine Güte, Rakel, niemals wieder will ich solchen Hunger leiden müssen!«
    Seiner Schwester ging es jedenfalls gut. Sie schrieb kleine Erzählungen über das Dorf, die in der Lokalzeitung erschienen, und plante nun längere Texte. Wenn die eine oder andere Magd zu Ruhm gelangt war, weil sie über die Stall- und Feldarbeit geschrieben hatte, dann würde sie sicher Ähnliches schaffen. Jakob sagte, er habe von ihr gelernt, aus allem das Beste zu machen. Dann küsste er mich.
    Wir standen im Slottsskogen, und der Wald duftete nach Vorfrühling. Jakobs Hemd war abgenutzt, aber sauber, und er schmeckte schlicht und ehrlich. Er hielt meine Arme fest und streifte meine Lippen nur, und es war wie morgens gut zu frühstücken oder nasse Füße vor den Kamin zu halten. Ich staunte über die Selbstverständlichkeit, mit der er sich dann bei mir einhakte. Und was er sagte, war wie der Kuss. Ich mag dich gern, Rakel. Ich hoffe auf dich. Aber lass dir Zeit.
    So konnte es also auch sein.
    Bei unserem nächsten Treffen gingen wir ins Kronenkino und sahen Bilder aus einer englischen Munitionsfabrik. Wir saßen im Dunkeln und lauschten dem Klaviergeklimper im Hintergrund, während Jakob meine Hand hielt. Man hätte uns für ein Paar halten können, ein Paar, das sich liebte und eine gemeinsame Zukunft plante. Ich dachte auf dem Heimweg darüber nach, als wir die Treppen zu unserer Kammer hochstiegen, die Tür öffneten und hörten, wie Lea sich mit Anton stritt. Er war vorbeigekommen, um über einen Vortrag zu sprechen. Es ging um die Landesverteidigung, und er wollte wissen, was meiner Meinung nach mein Vater dazu gesagt hätte. Es war ein Glück, dass er gewartet hatte.
    Er begriff sofort. Aber er behielt sein Wissen um Jakobs Gefühle
für sich. In seinem Blick sah ich, was er sagen wollte. Ich sehe und ich kenne dich, Rakel. Du entkommst mir nicht.
     
    Aber erst musste der Stein über den Rand des Abgrunds kippen. Es fing damit an, dass Jakob an unserem Tisch saß und erzählte, er könnte jetzt als Geschäftsmann groß einsteigen. Unten im Hafen gab es ein Lager von übriggebliebenenem echten Bohnenkaffee. Bisher wussten nur sehr wenige Arbeiter davon. Sie hatten andere Waren gelöscht und die Säcke ganz hinten in der Ecke in einem Speicherraum gefunden.
    Wie sie dort hingelangt waren, wusste niemand. Natürlich hatte irgendwer diese wertvolle Last dort abgelegt, und sicher hatte irgendwer auch Pläne damit gehabt, war aber daran gehindert worden, vermutlich mit Gewalt. Vielleicht lag er mit eingeschlagenem Schädel in einer Gasse, vielleicht saß er im Gefängnis. Jakob und seine Bekannten hatten den Speicher ziemlich lange beobachtet. Es war rein gar nichts passiert.
    Als Test hatten sie

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