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Der geheime Brief

Der geheime Brief

Titel: Der geheime Brief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Ernestam
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daran zu hindern, ins Zimmer einzudringen.
    »Ich habe dir von der Schiffsjungenausbildung erzählt. Darüber, dass ein Teil der Offiziere die Jungen wie Dreck behandelten. Arme Trottel allesamt. Alle mit einem Glauben an etwas, das ein wenig erträglicher war als der Hunger daheim. Ich hatte einen Vater, der meine Mutter quälte und uns alle schlug, um seine eigene Ohnmacht zu verdecken. Bis ich ein für alle Mal mit ihm abgerechnet habe. Manchmal frage ich mich, wie viel Güte ich noch erleben muss, um ihm voll und ganz verzeihen zu können. Aber meine Geschichte ist nicht schlimmer als die vieler anderer.
    Wir lernten so einiges. Aber auf einer Korvette zu wohnen, in dieser Enge. Einige schafften es nicht und weinten Abend für Abend. Einer machte sich nachts die Hose nass. Welche Strafe er bekam, willst du gar nicht wissen. Ich selbst war daran gewöhnt. Wusste, dass man sich vor Unterdrückung nur retten kann, indem man keine Furcht zeigt. Wenn sie Angst riechen, dann greifen sie an.«
    Anton leerte sein Glas und schien nachfüllen zu wollen, überlegte sich die Sache dann jedoch anders.

    »Einer hatte noch mehr Angst als die anderen. Er hieß Gustaf. Ein Königsname, aber er hatte nichts Königliches an sich, er war nur mager und elend. Er versuchte, hart zu werden, aber er war zartbesaitet wie ein Mädchen, und einer unserer Offiziere fand ein seltsames Vergnügen darin, das immer wieder zu betonen. Für die anderen wurde das zu einer willkommenen Abwechslung von ihrem eigenen Unglück. Wenn Gustaf geschlagen wurde, kam man selbst ungeschoren davon, wenn er die übelsten Aufgaben übernehmen musste, blieb uns das erspart. Ich tat hinter dem Rücken des Offiziers, was ich konnte. Wenn ich es offen versucht hätte, hätte es nichts genutzt. Aber ich konnte ihm bei unseren Studien helfen, wir sollten ja auch rechnen und lesen lernen. Ich half ihm auch, Schuhe zu putzen und Knoten zu machen, denn das hatte er nie begriffen. Ab und zu stand ich nachts auf und versuchte, seine Schreie im Schlaf zu ersticken. Und wenn du wüsstest, wie wir gefroren haben!«
    Er sprach jetzt mehr mit dem Fußboden als mit mir.
    »Eines Abends hatten wir frei, und wir wollten es uns gemütlich machen. Gustaf hatte von zu Hause einen Brief bekommen, der enthielt Briefmarken. In den Gaststätten konnte man mit Briefmarken bezahlen, aber es war besser, die im Mützenfutter zu verstecken, sonst wurden sie uns abgenommen. Wir wanderten im Hafen umher, und Gustaf erzählte, er wünsche sich im Leben nur eins, nämlich ein Stück Land so weit weg vom Meer wie überhaupt nur möglich. Er verabscheue das Meer, sagte er. Für ihn war es eine Bedrohung. Er kam aus einem Dorf, wo es an Wasser in der Nähe nur Flüsse und Seen gab, und so wollte er es haben. Ein kleines Stück Land, auf dem er arbeiten könnte. Ein Seeufer zum Angeln. Ein liebes Mädchen und ein paar Kinder. So sah sein Traum aus.
    Doch als wir noch unterwegs waren, trafen wir genau den Offizier, der sich solche Mühe gab, Gustafs Leben zur Hölle zu
machen. Er war angetrunken und hatte einige andere weniger korrekte Vorgesetzte bei sich. Als sie uns entdeckten, ging wohl alles mit ihnen durch. Frauen hatten sie nicht auftun können, obwohl es auf Marstrand genug gab, und irgendwo mussten sie ihre Lust wohl ablassen. Unser Offizier baute sich vor Gustaf auf, sagte, der habe ja Post bekommen und wollte nun den Inhalt von Gustafs Taschen untersuchen. Als die sich als leer erwiesen, brüllte er so wütend los, dass Gustaf nicht zu widersprechen wagte, sondern die Briefmarken hervorzog. Der Offizier schrie, er solle die hergeben. Als Strafe für achtlosen Umgang mit der Ausrüstung. Ich merkte, wie Gustaf neben mir zitterte. Ich zitterte selbst, aber aus Wut. Und dann konnte ich den Mund nicht halten, sondern sagte, die Briefmarken könnten ihm doch scheißegal sein, es wären schließlich nicht seine.«
    Anton hob den Blick. Seine Augen sahen nicht mich, sondern nur das, was gewesen war.
    »Es dauerte nur einige Minuten, dann waren wir fertig. Sechs Männer gegen zwei junge Burschen. Sie schleiften uns in den Wald, und da nahmen sie sich zuerst die Briefmarken vor und dann Gustaf. Der Offizier wusste genau, was er tat, als er Gustaf so misshandelte, dass er nicht mehr gehen konnte, während die anderen Männer mich festhielten und ich zusehen musste. Aber als er meinem Freund die Nase brach und ihm die Zähne ausschlug, ahnte ich, dass alles bald zu spät sein würde. Ich werde

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