Der Geheime Orden
auf dem Campus zu kleben. Ich lehnte mich zurück und versuchte die Welt, die sie beschrieben, mit derjenigen zu versöhnen, die ich während der letzten zwei Wochen bei der Kandidatenauswahl erlebt hatte. Sicher, diese Jungs waren schwere Trinker und zeitweise ziemlich laut, verwöhnte Gören, die ihre Legate und die Bankkonten ihrer Eltern hatten, mit deren Hilfe sie sich in einer Welt einkapseln konnten, die sie sich selbst geschaffen hatten. Aber die rassistischen Beleidigungen, die so viele in diesem Raum erregten, hatte ich bislang nicht erlebt. Hatte mich mein eigener Ehrgeiz, in einen dieser Clubs zu kommen, blind gemacht? Oder war ich schon einer von ihnen geworden und hatte es nur noch nicht gemerkt? Diese offenen Fragen bereiteten mir erhebliche Bauchschmerzen.
Da hob wie aus dem Nichts eine kleine, unscheinbare Erstsemesterin in der letzten Reihe ihre Hand und stand auf. »Ich bin das Mädchen, das sie ›Niggerschlampe‹ genannt haben«, sagte sie. Es wurde ganz still im Raum. »Zuerst war ich wütend, aber dann taten sie mir nur noch Leid. Ich dachte, wie traurig es doch ist, wenn eine Gruppe von Jungs, die alles auf der Welt haben können, dumm genug sein kann, sich so sehr in ihrer eigenen Welt einzuschließen, dass sie nicht einmal merken, was für armselige kleine Clowns sie doch sind. Je mehr wir gegen sie protestieren und die Verwaltung anstacheln, etwas gegen sie zu unternehmen, desto mehr werden sie andere Studenten verhöhnen, die nicht so aussehen oder sprechen wie sie. Ich glaube, das wird sich sehr viel schneller ändern, wenn wir einen Weg in ihre Clubhäuser finden und uns an ihre Tische setzen können, wo unsere Stimme gehört werden kann.«
Alle, einschließlich Carl, saßen für einen Augenblick schweigend da, verdauten, was das Mädchen gerade gesagt hatte, und versuchten sich vorzustellen, wie viel besser die Situation wäre, wenn mehr von uns an ihren alten Eichentafeln Platz nehmen würden, anstatt mit Protestschildern durch die Straßen zu laufen und nach Gerechtigkeit und Gleichheit zu rufen. An jenem Abend verließ ich das Union mit dem Bewusstsein, dass meine Mission eines Tages viel mehr beinhalten könnte, als nur herauszufinden, was mit dem Abbott-Erben passiert war oder welche Männer das Hosenband der Altehrwürdigen Neun trugen. Ich fragte mich, ob es mir gelingen könnte, eine Brücke zwischen diesen so unterschiedlichen Welten zu schlagen, die eines Tages – wenn sie nur bereit waren, ein wenig Verständnis füreinander aufzubringen – vielleicht feststellten, wie viele Gemeinsamkeiten sie besaßen.
17
Am Montagmorgen hatten sich die Tausende, die auf unsere kleine Ecke der Welt herabgestiegen waren und den Yard zertrampelt hatten, keinen Augenblick zu früh in ihre fernen Heimatländer verabschiedet. Die Tore, die übers Wochenende verschlossen waren, wurden wieder geöffnet, die zusätzlichen Sicherheitskontrollpunkte abgebaut und fortgeschafft, und die ruhige Atmosphäre kehrte auf den Campus zurück. Dalton hatte mich noch nicht angerufen, was mir angesichts der Vorfälle auf Wild Winds gewisse Sorgen bereitete. Und jedes Mal, wenn ich versuchte, an etwas anderes zu denken, schlich sich das Bild des kleinen blauen Buches in meine Gedanken, das unter seiner Matratze lag. Ich war inzwischen davon überzeugt, dass wir es lesen mussten, sobald Dalton zurückgekommen war, um herauszufinden, ob dieses Buch irgendetwas zur Erklärung der seltsamen Dinge beitragen konnte, die sich nach Onkel Randolphs Tod zugetragen hatten.
Nach meinen Seminaren aß ich mit ein paar Footballspielern in Kirkland House zu Mittag, um anschließend in mein Zimmer zurückzukehren, damit ich vor dem Training noch eine Mütze Schlaf bekam. Als ich die Tür öffnete, bemerkte ich einen großen braunen Umschlag mit meinem Namen darauf. Irgendjemand schien ihn unter der Tür hindurchgeschoben zu haben. Darin fand ich eine kleine Notiz auf dem Briefpapier des Crimson. Sie war an zwei kopierte Artikel geheftet.
Spencer,
Ich habe gestern Abend diese beiden Artikel gefunden und dachte, dass sie dich vielleicht interessieren könnten. Ich glaube, du hattest Recht mit deinem Verdacht bezüglich Collander Abbott. Dafür, dass sein Sohn verschwunden war, hat er sich ziemlich merkwürdig verhalten. Er sieht nicht gerade wie ein Vater aus, der mit dem Tod seines einzigen Sohnes konfrontiert wird. Ich hoffe, es nützt etwas.
G. Stromberger
Der erste Artikel datierte vom 8. März 1928
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