Der Geheime Orden
anderen schwarzen Studenten verbrachten, meinten unsere weißen Kommilitonen, wir wären wütende Militante und Separatisten. Und der Speisesaal war ein einziges großes, trübes Aquarium. Alle guckten, wer mit wem zusammensaß und wie viel Zeit jeder auf der »anderen« Seite verbrachte. Ich hatte zu einem gewissen Grad Glück gehabt, weil der Sport mir einen Freischein verlieh, den andere Studenten nicht besaßen. Dass ich als Mitglied meiner Mannschaft und durch das Training Verpflichtungen eingegangen bin, brachte mit sich, dass ich sowohl mit Schwarzen als auch mit Weißen eine gewisse Zeit verbrachte. Wenn andere Schwarze mich also mit Dalton oder Percy sahen, ließen sie das durchgehen. Doch mein Freischein hatte nur begrenzte Gültigkeit. Wenn ich niemals mit den Brothers und Sisters auf dem Yard oder in den Speisesälen gesehen würde, hätte auch ich einen schweren Stand. Genau deshalb trug Satch Washington einen Mitgliederausweis des Verräterclubs. Er würde nicht mal einen schwarzen Pagen seinen Koffer tragen lassen.
»Ich weiß nichts von ihrem Freund«, sagte Mitch. »Aber sie ist das hübscheste Mädchen auf dem Campus. Egal ob schwarz oder weiß.«
»Da hast du verdammt Recht«, pflichtete Carter bei. »Und ich will dir noch etwas sagen. Phonso redet jetzt vielleicht schlecht über sie, aber sobald sie ihm auch nur die leiseste Hoffnung gäbe, würde er seine Nase so aufreißen, dass man seinen vorderen Hirnlappen sehen könnte.«
Er hatte die Lacher auf seiner Seite.
»Ganz recht«, sagte Alphonse. »Mir gefällt vielleicht nicht ihr Männergeschmack, aber mein Vater hat keinen Trottel großgezogen.«
Wir saßen die nächste halbe Stunde da und quatschten, tauschten uns aus, schlossen Wetten ab und taten, was Jungs eben so tun, wenn sie viel Zeit haben und nichts Ernsthaftes damit anzufangen wissen. Darum liebte ich diese Sonntage. Alle lehnten sich zurück und entspannten sich, vergaßen für eine Weile sämtliche Harvey C. Mettendorfs und Trainer Beasleys dieser Welt. Zumindest an einem Abend in der Woche konnten wir miteinander quatschen und mussten uns keine Sorgen darüber machen, ob unsere Verbkonjugationen korrekt waren oder unsere Nomina kongruent.
Dann aber musste Carter alles verderben. »Lass uns zum BFT gehen«, sagte er und schaute in die Runde. »Wir sind schon eine Weile nicht mehr da gewesen.«
BFT stand für Black Freshmen Table. Es war eine wöchentliche zweistündige Diskussionsrunde am Sonntagabend, die in einem großen Raum im ersten Stock des Union stattfand. Sie war einige Jahre zuvor als ein Ort ins Leben gerufen worden, an dem sich farbige Studenten treffen und Gedanken austauschen, unbeschwert ihre Meinung äußern und sich einfach wohlfühlen konnten, während man sich sonst auf dem Campus leicht isoliert und allein fühlen konnte. Für Erstsemester gehörte es zur Tradition, dorthin zu gehen, während die höheren Semester eher sporadisch dort auftauchten, um ihren willkommenen Rat zu geben und den Schatz ihrer Erfahrungen zu teilen. Ich bin an vielen Sonntagen da gewesen, als ich noch Frischling gewesen war, doch in der Mitte meines ersten Jahres fand ich die Diskussionsthemen zunehmend eintönig: Wie man das Schwarzsein definiert und welche Verpflichtungen wir gegenüber anderen Schwarzen hatten, die niemals die Chance bekamen, in den Elfenbeinturm zu steigen. Das waren wichtige Themen, aber nachdem sechs Abende lang dieselben Leute dieselben Argumente vorgebracht hatten, verlor der moralische Imperativ ein bisschen an Dampf.
»Ich weiß nicht«, sagte Alphonse. »In den letzten Wochen war ich regelmäßig fast geplatzt vor Wut, wenn ich von den Treffen kam. Jedes Mal stand ich kurz davor, Carl an die Gurgel zu gehen. «
Carl Williams war der Vorsitzende des BFT, ein Kalifornier mir butterweicher Stimme, der sich selbst viel zu wichtig nahm und kein normales Gespräch führen konnte, ohne dass er sich wie jemand anhörte, der ein politisches Amt anstrebt. Man kannte diese Typen aus der Highschool: Jungs, die von ihren Mitschülern zu den vielversprechendsten Erfolgskandidaten gekürt worden waren und anschließend eine Vereinbarung mit sich selbst getroffen hatten, alles zu tun, um diese Vorhersage wahr zu machen. Ich persönlich mochte Williams nicht. Er war politisch zu korrekt, versuchte immer, beide Seiten zu sehen, und biederte mit der Mehrheit an, wenn es ihm einen Vorteil versprach, wohingegen er den Advokaten des Teufels spielte, wenn er tiefsinnig
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