Der Geheime Orden
Künstler wäre und ein Selbstporträt malen würde, müsste es aussehen wie Dominique Bickerstaff«, sagte Pollack. »Die Legende sagt, dass Bickers mit seiner damaligen Frau nach Venezuela gereist ist, um sich die großen Angel-Wasserfälle anzusehen. Sie waren gerade zwanzig Minuten von ihrem Resort entfernt, als Bickers darauf bestand, zu einem kleinen Dorf abzubiegen, um eine Schachtel Zigaretten zu kaufen. Der Fahrer, obwohl er bis zu den Zähnen bewaffnet war, erzählte Bickers, dass sie nicht anhalten sollten, bis sie in einem sicheren Stadtteil wären. Entführungen sind in Venezuela so etwas wie ein Nationalsport. Doch Bickers bestand darauf, also biegt der Fahrer von der Hauptstraße ab, und sie erreichen diese kleine Barackensiedlung und finden einen Laden, den jemand in seinem Hinterhof eingerichtet hatte. Bickers steigt zusammen mit dem Fahrer aus, mit Maschinenpistole und allem drum und dran, und klopft an die Tür. Zunächst antwortet niemand auf sein Klopfen, aber schließlich kommt dieses junge Mädchen ans Fenster. Groß gewachsen und mit langem Haar, wenig gepflegt, aber atemberaubend schön. Ein echter Rohdiamant. Bickers schrieb auf der Stelle ihre Adresse und ihren Namen auf, kaufte zwei Schachteln Zigaretten und gab ihr ein Tausend-Dollar-Trinkgeld. Als sie wieder zurück im Resort waren, rief er seinen Mann in New York an und beauftragte ihn, jedes Haus in diesem Dorf zu kaufen, egal wie viel es kostete, aber der wichtigste Teil des Geschäfts bestand darin, dass er dafür dieses Mädchen bekam, Dominique Cardona. Innerhalb von zwei Monaten war Bickers geschieden, und die schöne Dominique verkaufte keine Waren mehr aus dem Hinterzimmer der Zwei-Zimmer-Baracke ihrer Familie, sondern kaufte Pelze auf der Madison Avenue.«
Die Limousine fuhr auf die Triboro-Brücke, und ich hatte meine erste richtige Aussicht auf die berühmteste Skyline der Welt. Es war atemberaubend. Hier waren mehr Beton und Glas konzentriert, als ich es jemals woanders gesehen hatte. Die Lichter funkelten am Himmel wie Glühwürmchen, die in einer klaren Sommernacht hintereinander herschwirren. Dann sah ich das Gebäude, das für mich immer das Symbol dieser Stadt sein sollte. Es befand sich auf der Südseite der Insel und war viel höher und andersartiger als die benachbarten Wolkenkratzer. Seine beleuchteten gotischen Arkaden verliehen der aufgesetzten Spitze ein symmetrisches und ikonoklastisches Muster. Ich hatte zwar keine Ahnung von Architektur, war aber überzeugt, dass es bändeweise Literatur über diesen Wolkenkratzer gab.
»Was ist das da drüben für ein Gebäude?«, fragte ich Hutch. »Das mit der beleuchteten Spitze.«
»Das Chrysler Building«, sagte er. »Ist es nicht wunderschön? Es wurde vom Automobilbaron Walter Chrysler im frühen zwanzigsten Jahrhundert erbaut und war eine Zeit lang das höchste Gebäude der Welt und hat eine faszinierende Geschichte. Es gab zwei Architekten und Freunde, die eine gemeinsame Firma besaßen, H. Craig Severance und William Van Alen. Nach einem heftigen Streit gingen sie getrennte Wege und wurden zu scharfen Konkurrenten. Beide wollten das höchste Gebäude der Welt bauen, doch Severance hatte den besseren Start erwischt und errichtete einen Wolkenkratzer an der Wall Street. Während die Gebäude wuchsen und die Pläne des jeweils anderen Lagers mehr und mehr durchsickerten, änderten sie immer wieder die geplanten Höhen, um die jeweilige Gegenpartei auszubooten. Severance wurde als Erster fertig. Er hatte weniger als ein Jahr gebraucht, um sein Bank of Manhattan Trust Building zu errichten, eine Leistung, die vorher niemand für möglich gehalten hatte. Doch Van Alen war entschlossen, sich nicht übertreffen zu lassen, ebenso wenig wie Walter Chrysler, der das höchste Gebäude der Welt besitzen wollte. Also baute Van Alens Mannschaft heimlich eine Spitze in das oberste Stockwerk, und als der Bau abgeschlossen war, hievten sie die Spitze hoch und schnappten sich den Titel des höchsten Gebäudes der Welt.«
»Bis General Motors auf der Bildfläche erschien«, warf Claybrooke ein. »Einer der GM-Manager hasste Walter Chrysler und die Art, wie er mit seinem Reichtum prahlte, also änderte er die Pläne für sein Gebäude und schlug das Chrysler mit über sechzig Metern. Das Gebäude steht da hinten, mit den roten, weißen und blauen Lichtern auf dem Turm. Das Empire State Building.«
Wir betrachteten alle das Empire State Building, und ein paar Jungs machten
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