Der Geheime Orden
Menschen, junger Mann«, sagte Davenport. »Sie sind nicht hierher gekommen, um Reichtümer zu finden, sondern um der religiösen Verfolgung zu entkommen.«
»Verfolgung durch den König«, sagte ich.
»Eigentlich war es die Königin. Mitte des 16. Jahrhunderts regierte Königin Elisabeth I. Immer mehr Menschen gelangten zu der Auffassung, dass ihre Kirchenorganisation zu politisch sei, zu kompromisslerisch und zu katholisch. Ich möchte Sie nicht mit einer Geschichtsvorlesung langweilen, aber zumindest erwähnen, dass es sich bei diesen Abweichlern um Calvinisten handelte, frühe Protestanten, die an die absolute Herrschaft von Gottes Willen glaubten. Sie glaubten, dass die Heilige Schrift weder das Einsetzen von Bischöfen noch von Kirchen durch den Staat rechtfertigte, also setzten sie sich zum Ziel, die Kirche zu reinigen, zu purifizieren. Daher der Name Puritaner.«
»Sie glauben also, dass dieses Zitat mit dem Glauben der Puritaner zu tun hat?«
»Ich glaube es nicht, junger Mann, ich weiß es. Ihr Stil und ihre Überzeugungen sind unverwechselbar. Sie mögen nur wenige gewesen sein, doch ihr Eifer und ihre Bereitschaft, für das zu sterben, was sie für Gottes ursprüngliche Offenbarung hielten, machten sie stark.«
»Woher stammt dann dieses Zitat?«, fragte ich.
Davenport stand auf, griff nach seinem Stock, humpelte zur Tür hinüber und schloss sie. Als er wieder in seinem Stuhl saß, wandte er sich mir zu und sagte in einem beinahe verschwörerischen Ton: »Deswegen wollte ich Sie ja so dringend sprechen.« Sein Gesicht wirkte plötzlich düster und gequält. »Diese Worte stammen von einem der am höchsten geschätzten Autoren puritanischer Schriften. Sein Name war Reverend John Downame, und seine Schriften gehörten zu den einflussreichsten des frühen Neuenglands. Er war ein Riese unter Riesen, was seinen religiösen Intellekt und seine Lehre betraf, und in der Theologie seiner Zeit war er größer und berühmter als Shakespeare in der Theaterwelt.«
»Aber warum ist diese Passage so bedeutend?«, fragte ich.
»Die Antwort liegt in der Quelle, in der Sie sie gefunden haben«, sagte Davenport.
Ich hätte den alten Mann am liebsten bei den Schultern gepackt und wütend geschüttelt, damit er endlich aufhörte, in Rätseln zu sprechen. »Warum ist die Quelle so wichtig?«, fragte ich.
»Weil sie vor mehr als drei Jahrhunderten geschrieben wurde und weil sie zufällig das berühmteste Buch in der Geschichte Harvards ist. Viele würden sogar sagen, dieses Buch ist Harvard, und heute existieren nur noch sehr wenige Exemplare.«
»Wie heißt dieses Buch?«
»Der Christliche Feldzug gegen den Teufel Welt und Fleysch.«
»Und warum ist das Buch für die Geschichte Harvards so wichtig?«
»Weil es mit dem alten Feuer zu tun hat.«
Davenport schaute mich an, als müsste ich wissen, welches Feuer er meinte. Aber ich starrte ihn nur verständnislos an.
»Es reicht zurück bis in die Zeit der Gründung dieser Universität«, sagte er. »Sie kennen natürlich die drei Lügen auf der Statue von John Harvard.«
Ich nickte. Die Statue der drei Lügen gehörte zu den Standardlegenden von Harvard, die alle Erstsemester bereits nach einer Woche auf dem Yard kannten. Direkt hinter der University Hall und in zentraler Lage auf dem Yard stand Harvards meistfotografierte Sehenswürdigkeit, die Bronzestatue eines Mannes, der herrschergleich und nach der Mode der Zeit gekleidet auf einem Sessel saß. Die Statue war 1884 von Daniel Chester French gegossen worden, dem berühmten Bildhauer, der auch die Lincolnstatue in Washington geschaffen hatte. Die Inschrift auf dem Denkmal lautete: »John Harvard, Gründer, 1638.« Und keine einzige dieser Behauptungen entsprach der Wahrheit. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung war John Harvard nicht der Gründer des Harvard College. Es war die Massachusetts Bay Colony, die das kleine College errichtet hatte, das erst später nach John Harvard benannt wurde. Außerdem wurde Harvard 1636 gegründet, nicht 1638. Und schließlich war die sitzende Gestalt gar nicht John Harvard. Der Legende zufolge handelte es sich um einen Studenten namens Sherman Hoar, den French zufällig als Modell gewählt hatte, da man keine authentischen Abbildungen von John Harvard finden konnte. French wurde so ausstaffiert, wie man sich die typische Kleidung des siebzehnten Jahrhunderts vorgestellt hatte.
Davenport führte die Geschichte fort. »Reverend John Harvard kam im Jahr 1637 von England nach
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