Der Geheime Orden
Charlestown, Massachusetts, wo er ein Jahr später starb. Er vermachte die Hälfte seines Besitzes und alle seine Bücher, etwa vierhundert, dem College, das im Jahr zuvor gegründet worden war und schlicht New College genannt wurde. Der gesamte Buchbestand einschließlich der restlichen Bibliothek wurde in Harvard Hall aufbewahrt. Im Jahre 1764, mitten im Schnee und Unwetter eines schweren Nordoststurms, brannte Harvard Hall bis auf die Grundmauern nieder. Eine verheerende Katastrophe für das College, bei der Möbel, Bilder, Perücken, wissenschaftliche Ausrüstung und Kleider verbrannten. Am schlimmsten aber war der Verlust nicht nur der Bibliothek, sondern des gesamten, von John Harvard geerbten Bestandes.
Der Präsident und der Lehrkörper waren am Boden zerstört, nachdem sie die Sammlung ihres ersten und wichtigsten Wohltäters verloren hatten. Dann aber geschah ein Wunder in Gestalt eines Studenten namens Ephraim Briggs, der sich am 14. Oktober 1763 ein Buch für die gesamte Leihfrist ausgeliehen hatte, die damals drei Wochen betrug. Nach dem Feuer von 1764 raffte Briggs sich schließlich auf, das längst überfällige Buch zurückzugeben. Wunderbarerweise handelte es sich um die vierte Auflage von Downames Buch aus dem Jahr 1634: Der Christliche Feldzug gegen den Teufel Welt und Fleysch.«
»Wo befindet sich dieses Buch jetzt?«, fragte ich.
»Es wird in einer Glasvitrine im Eingang der Houghton-Bibliothek ausgestellt«, sagte Davenport. »Unter dem wachsamen Auge eines Sicherheitsbeamten. Es ist das Einzige noch existierende Buch aus der Sammlung von John Harvard und eines der bedeutendsten theologischen Werke der Welt.«
Ich betrachtete das Zitat. Ich verstand immer noch nicht, warum es etwas so Besonderes sein sollte, dass mein Zitat aus einem Buch stammte, das in einer unserer Bibliotheken ausgestellt wurde.
»Kann sich jeder dieses Buch anschauen?«, fragte ich.
»Natürlich, wenn auch mit besonderer Genehmigung und unter strenger Aufsicht«, sagte Davenport.
»Was ist dann das Besondere an dieser Passage, wenn sie jedermann zugänglich ist?«
Davenport lächelte, fast ein böses Lächeln, bei dem mir ein wenig flau im Magen wurde. »Weil der Abschnitt, den Sie hier aufgeschrieben haben, nur von jemandem stammen kann, der die extrem seltene erste Auflage kennt. Von dieser Auflage existieren nur noch sehr wenige Exemplare.«
Vielleicht spürte ich immer noch die Nachwirkungen des Ausflugs nach New York, doch seine Pointe war mir immer noch nicht klar. »Kann man sich die erste Auflage ansehen?«, fragte ich.
»Ja, aber der Zugang ist streng begrenzt.«
»Warum ist dieses Zitat so ein Geheimnis, wenn Leute immer noch in die Bibliothek gehen und es sich anschauen können?«
»Weil es von den Seiten 545 und 546 stammt, den einzigen Seiten, die in dem Buch fehlen. Gelehrte und Sammler aus der ganzen Welt suchen schon seit mehr als hundert Jahren nach diesen Seiten. Bis heute ist ihr Verbleib eines der größten ungelösten Rätsel von Harvard.«
Auf dem Heimweg von der theologischen Fakultät beschloss ich, einen kleinen Abstecher zur Robinson Hall in der nordöstlichen Ecke des Yards zu machen. Robinson war der Sitz des historischen Instituts, ein monumentales Backsteingebäude, das um die Jahrhundertwende errichtet worden war, um die Fakultäten für Architektur und Stadtplanung zu beherbergen. Die meisten Studenten hatten selten einen Grund, dieses alte Gemäuer aufzusuchen, es sei denn, sie besuchten ein Seminar in Geschichte oder brauchten ein ruhiges Plätzchen zum Lernen. Ich wollte die Bibliothek zurate ziehen, von der man mir erzählt hatte, dass sie aufgrund ihres exzellenten Bücherbestands Historiker aus aller Welt anzog.
Ich stieg eine lange Treppe hinauf und bog ein paar Mal ab, bis ich zu einer schlichten Tür gelangte, auf der in kleinen Buchstaben das Wort »Bibliothek« geschrieben stand. Ich trat in der Erwartung ein, mich in einem riesigen, höhlenartigen Raum voller muffiger alter Bücher und gebundener Zeitschriften wieder zu finden, landete stattdessen aber in einem umgebauten Seminarraum mit langen Holztischen, klinisch weißen Wänden und Reihen von Bücherregalen an allen Seiten. Einige Studenten hatten ihre Nasen in Bücher gesteckt, und hinter einem Tisch am Eingang saß eine junge Frau in einem schwarzen Rollkragenpullover und mit langen roten Haaren, die zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Sie tippte etwas in einen Computer ein und lächelte dabei.
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